Sonntag, 3. Juli 2016

Wochenendeende


Sommersonntagnachmittagsstyx

Fenster #32

Donnerstag, der 3. Juli 2014


[275 / 49]
Heute vor 118 machte Edmond seinen letzten Eintrag in das Journal, daß er vor Jahrzehnten mit dem mittlerweile schon lange toten Bruder begonnen …
Freitag, 3. Juli – Tag unter vier Augen mit Mirbeau im Clos-Saint-Blaise verbracht. Die Robins sollten kommen, aber derzeit gehört Robin Liane de Pougy.
Montesquiou sollte mit mir zusammen um 2 Uhr 25 aufbrechen, aber er ist erst zum Diner um 7 Uhr gekommen, infolge eines mit dem Bürgermeister von Douai verbrachten Tages, um eine Feier zu Ehren von Valmore vorzubereiten. Wir plaudern über die schlechte Herstellung des Journal, und über die Unkenntnis des Werts der Abschrift von Xau, den er nicht dazu bringen konnte, Artikel von La Jeunesse anzunehmen, nach seinem bemerkenswerten Buch Les Nuits, les ennuis et les âmes des nos plus notoires contemporains. Über den philosophischen Gleichmut mit dem Madame Robin den Betrug ihres Mannes akzeptiert, indem sie ihm Ratschläge gibt, wie man sie einem Bruder gäbe. Und er teilt mir mit, daß Zola um die Auflösung seines Vertrags mit dem Figaro gebeten hat, wegen eines Artikels, der nicht zum Druck freigegeben wurde; und diese Unterhaltung über die einen und die anderen aus der Literatur wird unterbrochen durch das Umherstreifen inmitten der Blumen, wo er über einige duftende Buchten, die gleichsam eine große Palette bilden, zu mir sagt: »Zola sagte beim Anblick dieser wohlriechenden Wicken zu mir: ›In jener Zeit, in der ich gewissermaßen nichts zu Essen hatte, konnte ich nicht widerstehen, wenn es welche gab, manchmal für einen Abend welche zu kaufen, und ich stellte sie auf meinen Nachttisch, und dieser leichte Duft von Orangenblüten ließ mich in der Nacht Träume haben, in denen meine ganze Kindheit vorüberzog.‹« Während des ganzen Diners spricht Montesquiou mit einer unermüdlichen Verve von eigenartigen Leuten, Gruppen sonderbarer Frauen, die auf der gestrigen Feier von Castellane waren. Dreistöckige Obstschalen mit legitimistischen Bonbons. Daruntergemengt eine Lobeshymne auf das Engadin und auf das gute Zimmer bei einem Apotheker, wo es nicht nach dem Fußabtreter eines großen Hotels roch, der all die Miasmen der Dinge bewahrte. Will Madame Mirbeau dazu drängen, dorthin zu fahren, die leidend ist und Zerstreuung sucht von ihrem Haus und drei Wochen in Évian verbringt mit einer Frau ihrer Bekanntschaft.
Im Zug, während er mir vom Buch in Prosa erzählt, das er schreiben will und das nur er schreiben kann über seine Erinnerungen an die alten Gesichter des Faubourg Saint-Germain, erzählt er mir tausend Anekdoten, darunter diese, die einer Frau seiner Bekanntschaft zustieß, die sehr stolz ist auf ihr Vermögen. Sie engagiert eine kleine Bonne mit schmuckem Häubchen. Und nachdem die Konditionen ausgehandelt sind, in dem Augenblick, als sie hinausgehen will, bleibt sie an der Tür stehen und wirft ihr zu: »Ich frage Madame, ob Madame Gassi führt: in diesem Fall bin ich mit den Konditionen nicht mehr einverstanden.« Gassi führen heißt mit seiner Bonne Einkäufe machen.*
»Hier endet das Journal von Edmond de Goncourt. Er stirbt dreizehn Tage später am 16. Juli 1896 in Champrosay auf dem Landgut von Alphonse Daudet, der ihm in der Stunde des Todes beisteht.« Das vermeldeten die Herausgeber im Anschluß, und mit was für einer Geschichte endete es …: das hatte Stil! Wir hoffen, daß Hans Köberlin uns den Gefallen tut, und gleichfalls am Ende ein Histörchen dieser Art zu präsentieren. – Aber schade, wir hätten es poetischer gefunden, wenn es diese Frist von dreizehn Tagen nicht gegeben hätte und ihm der Tod die Feder im angefangenen Satz aus der Hand genommen hätte.


* Edmond & Jules de Goncourt, Journal. Erinnerungen aus dem literarischen Leben, Leipzig 2013, Bd. 11, S. 710ff.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XXI [Phase 9 – oder: Die letzte Phase], 10. Juni bis 11. Juli 2014).