Mittwoch, 13. Januar 2016

Montag, der 13. Januar 2014


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Der Montag, der 13. Januar 2014, hatte als Gedenktag eine besondere Beziehung zu Hans Köberlins momentaner Lektüre, denn an diesem Tag vor 73 Jahren war in seinem Exil James Joyce verstorben, am Ende blind wie Homer. Das einzige archivierte Filmkalenderblatt aus dem Jahr 1997 verzeichnete seinen Todestag nicht, obwohl Hans Köberlin mindestens von einer Verfilmung des Ulysses wußte (Joseph Strick, 1967; leider hatte er den Film noch nie gesehen),* und es gab natürlich noch (diesen Film hatte er bei seinem Erscheinen im Kino gesehen) John Hustons letzten Film, die Adaption von The Dead (1987), … das einzige archivierte Filmkalenderblatt aus dem Jahr 1997 verzeichnete also den Geburtstag von Albert Lamorisse (*1932) und zeigte aus diesem Anlaß ein Still aus Le ballon rouge (1956), auf dem Pascal Lamorisse (Alberts Sohn?) eine lange Treppe hinabstieg (vom Montmartre?),** wobei der titelgebende rote Ballon an einer Straßenlaterne befestigt zu sehen war.
»Träumte, ich hätte ein neuartiges Präzisionsgewehr, mit dem ich auf Leuchtreklamebuchstaben schoß, so zum Beispiel auf das orangene C des ›Consum‹, was mir großen Spaß machte. Dann funktionierte das Ding nicht mehr und ich wurde wach.«
Hans Köberlin las noch ein wenig im Bett und machte dann seinen Dauerlauf. Als er an dem ›Ifach-Park‹ genannten großen Gebäudekomplex (mit Appartements, Läden, Restaurants, einer Diskothek, Sportanlagen et cetera) vorbeilief, standen dort ein Fahrzeug der Guardia Civil, eines der Policía Local und ein Leichenwagen.


* Anthony Burgess hatte in seinem Vorwort zu Joyce Images darauf aufmerksam gemacht, daß Joyce kein optischer Autor gewesen sei und daß er Gestalten geschaffen habe, die man kaum sehen könne (vgl. James Joyce Bilder, entworfen und gestaltet von Bob Cato, hrsg. von Greg Vitiello und mit einer Einführung von Anthony Burgess, Frankfurt am Main 1994, S. 7). Hans Köberlin hatte ungefähre Vorstellungen von Bloom, Molly – die sah ihm wegen der bereits erwähnten Verwechslung aus wie Eva Mattes –, Simon Dedalus und seinem Sohn Stephen, von Buck Mulligan und natürlich von Gerty MacDowall. Am Mittwoch, dem 14. Oktober 2015, sollte er endlich in der Wohnung der Frau auf seinem geretteten VHS-Recorder Joseph Stricks Film – der, nebenbei bemerkt, sich die gleichfalls gerettete VHS-Cassette mit Scorseses Taxi Driver (1975) teilte – sehen. Hier das, was er in seinem Arbeitsjournal vermerkt: »Mittwoch, den 14. Ein guter Start in den Tag, dann schaute ich mir aus einer spontanen Laune heraus, als die Frau zur Dentistin und anschließend zur Arbeit gefahren war, endlich Ulysses an. Hatte dabei ein schlechtes Gewissen, weil sie arbeiten muß und Streß hat, während ich müßig und erfolglos bin. Wie jedes Jahr eine leichte Buchmessenkrise des Nichtdabeiseienden. – Dieser Film (Ulysses) ist, glaube ich, nur etwas für die, die den Roman kennen. Es war eine unvollkommene Visualisierung des dünnen Handlungsfadens, quasi die Gags und die Stellen (soweit das damals ging – nicht weit also, es gab aber dennoch einen Skandal), mit Gesichtern und Gestalten, die nicht mit meinen Imaginationen kongruierten (vor allem Stephen, Mr Bloom und Molly nicht); aber für mich, der ich seit meiner Lektüre im Exil ein Stück weit in dem Roman lebe und der ich ihn fast täglich beim Dauerlauf vorgelesen oder als Hörspiel höre und der ich nun seinen Kommentar (ohne den Text dazu) lese und der ich wirklich sehr wunderbare Tage mit der Frau in Blooms Stadt verbracht habe, für mich also hatte er dennoch seinen Reiz.«
** Man erinnert sich noch an Hans Köberlins Wünsche bezüglich seiner oder seiner Asche letzten Ruhestätte? – Warum wir jetzt nochmals darauf kommen? – Nun, bei dem Stichwort ›Montmartre‹ fiel uns § 6 von Heines Testament ein: »Wenn ich mich zur Zeit meines Ablebens in Paris befinde und nicht zu weit von Montmartre entfernt wohne, so wünsche ich auf dem Kirchhofe dieses Namens beerdigt zu werden, da ich eine Vorliebe für dieses Quartier hege, wo ich lange Jahre hindurch gewohnt habe.« (Heinrich Heine, Testament; in: Werke und Briefe, hrsg. von Hans Kaufmann, Berlin und Weimar 2. Auflage 1972, Bd. 7, S. 450). Er teilte übrigens Poes Angst: »§ 5. Ich verbiete, meinen Körper nach meinem Hinscheiden einer Autopsie zu unterwerfen; nur glaube ich, da meine Krankheit oftmals einem starrsüchtigen Zustande glich, daß man die Vorsicht treffen sollte, mir vor meiner Beerdigung eine Ader zu öffnen.« (ebd.). Außerdem, wie wir zufällig gelesen haben: »Das erste erotische Haustheater, wenn man von dem bald unterdrückten Versuch der Bordellbesitzerin Lacroix im Jahre 1741 absieht, dürfte Philipp von Orleans 1749 in Montmartre eröffnet haben.« (Artikel: Theateraufführungen, Erotische; in: Bilderlexikon der Erotik. Universallexikon der Sittengeschichte und Sexualwissenschaft, hrsg. vom Institut für Sexualforschung, Wien 1928ff., Bd. 2, S. 836).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel X [Phase IV – oder: modus vivendi], 7. bis 30. Januar 2014).