Samstag, 31. Dezember 2016

Kein Ausblick

da, wo räusche angerührt werden, gibt es keine fenster, in kirchen, brauereien und theatern.

(Bertolt Brecht, Arbeitsjournal. 2 Supplementbände zu den gesammelten Werken, Frankfurt am Main 1974, S. 571).

Ewig & überall #2

Ewig & überall #1

Dienstag, 27. Dezember 2016

Sonntag, 25. Dezember 2016

Samstag, 17. Dezember 2016

VANITAS (24. September 2013 bis heute)

Kein Unterschied

Wir haben diese beiden Vorstellungen: daß die Träume Teil des Wachens sind, und die andere, die blendende, die der Dichter, daß alles Wachen ein Traum ist. Zwischen beidem gibt es keinen Unterschied.

(Jorge Luis Borges, Der Albtraum; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 16: Die letzte Reise des Odysseus, Frankfurt am Main 1992, S. 102).

Sonntag, 11. Dezember 2016

Seite 31 (Ausschnitt)

Das wahre Paradies findet man nur in der Hölle

Es gibt etwas, was Dante nicht ausspricht, was durch die ganze Episode hindurch zu spüren ist und ihr vielleicht ihre Gültigkeit verleiht. Mit unendlicher Milde berichtet Dante uns vom Geschick der beiden Liebenden, und wir fühlen, daß er sie um dieses Geschick beneidet. Paolo und Francesca befinden sich in der Hölle, Dante wird erlöst werden, sie jedoch haben einander geliebt, er dagegen hat die Liebe der Frau, die er liebt, Beatrices Liebe, nicht erringen können. Es ist etwas von erhabenem Trotz darin, und Dante muß es als schrecklich empfunden haben, denn er ist längst fern von Beatrice. Diese beiden Verworfenen hingegen sind zusammen, können nicht miteinander sprechen, kreisen im schwarzen Wirbel ohne jede Hoffnung, nicht einmal dann, sagt uns Dante, enden die Leiden, aber sie sind zusammen. Wenn Francesca spricht, sagt sie »wir«: Sie spricht für beide, eine andere Form des Zusammenseins. Sie sind in Ewigkeit vereint, teilen die Hölle miteinander, und für Dante muß das eine Art von Paradies gewesen sein.
Wir wissen, daß er sehr bewegt ist. Alsbald fällt er wie ein toter Körper.

(Jorge Luis Borges, Die göttliche Komödie; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 16: Die letzte Reise des Odysseus, Frankfurt am Main 1992, S. 90f.).

Die Erde ist keine Scheibe, sie ist auch keine Kugel, sie ist eine Büchse

Nebeneinanderliegende Büchsen bilden eine Wohnung. Übereinanderliegende Büchsen ein Haus. Es werden Löcher hineingemacht, um den Bewohnern, der Kälte und dem Regen Einlaß zu gewähren. Drehscheiben aus einem undurchsichtigen Stoff bewerkstelligen das Aussondern der Bewohner einer Büchse, vorausgesetzt, daß diese Drehscheiben mit einem Loch versehen sind, Schlüsselloch genannt. Es gibt verschiedene Büchsenkategorien. Im allgemeinen verheiraten sich die Ausländer in der Büchse, in der sie schlafen und umgekehrt. Es ist selten, daß sie sich in einer Büchse zu anderem Gebrauch verheiraten, in der Küche zum Beispiel (in dieser Büchse finden die kleinen Büchsen ihren Platz, dazu dient sie nämlich: Konservenbüchsen, Bohnerwachsbüchsen, Radieschenbüchsen). Es gibt Büchsen, die sie mehr oder weniger mit Wasser vollaufen lassen, das sind die Badezimmer. Diese letzteren sind selten. Die Ausländer, die keine haben, nennt man die Armen. Die andern nennen sich die Reichen. Man sieht es nicht oft, daß Reiche und Arme in dem gleichen Büchsenhaufen wohnen. Manchmal wird eine Familie von Reichen durch eine weibliche Person der armen Gattung vervollständigt. Diese schläft dann in einer Spezialbüchse, die unter dem Dach hängt.
Die Leute, die sich in ein Bettlaken wickeln, um aus dem Verkehr zu kommen, werden in eine Büchse gelegt, die man vergräbt. Zwei zusammengefügte Büchsen, deren gemeinsame Zwischenwand herausgebrochen ist, nennt man Theater. In der linken Büchse drängen sich die Zuschauer, in der rechten Büchse die Schauspieler. Die Zuschauer sind Leute, die sich versammeln, um Lärm zu machen, indem sie mit den Händen gegeneinanderschlagen. Die Schauspieler sind Leute, die zwischen den Pausen, die ihnen die Zuschauer lassen, laut miteinander sprechen. Unter den großen Büchsen, die für die Menschen bestimmt sind und den kleinen Büchsen, die für die Stoffe bestimmt sind, gibt es die kleinen, für die Menschen bestimmten Büchsen, die man Gefängnisse nennt und die großen, für die Stoffe bestimmten Büchsen, die man Lagerspeicher nennt. Die Büchsen von mittlerem Umfang heißen Möbel, die meisten Möbel sind äußerst verdrehte Büchsen. Ein Tisch ist eine plattgeschlagene Büchse auf vier Beinen. Der Stuhl ist ein ehemaliger 'Behälter von sehr kleinem Ausmaß, der zusätzlich mit einer Lehne versehen wurde; da der Rezipient, ähnlich wie beim Tisch, verschwunden ist, hat man ihn durch vier Beine gestützt. Der Kamm stellt die letzte Spur einer verschwundenen Gattung dar: die Grätenbüchse. Manche runden Büchsen enthalten Bohnerwachs, andere Zeitfragmente. Ein Stück von der Welt abgetrennte Zeit, in einen kleinen Kerker eingeschlossen, dreht sich wie ein Karussell im Kreise herum. Die Ausländer bringen in der Mitte Zeiger an und erfassen sodann das genaue Pensum. Manchmal jedoch siecht das Stück Zeit dahin und stirbt. Daraufhin bringt man es vor die Stadttore auf kleine Märkte voller Flöhe, wo es sich in alle Winde verstreut. Die zylindrischen Büchsen enthalten Stoffe, die einen bald am Schlafen hindern, bald einschläfern. Die kubischen Büchsen sind, wenn man sie den Kindern gibt, mit Zeichnungen geschmückt, die die Ausländer Buchstaben nennen, wenn man sie den Erwachsenen gibt, sind sie mit kleinen Kreisen geschmückt, deren Zahl sechs nie übersteigt. Die Ausländer schütteln sie hin und her und lassen sie dann rollen, aber sie können tun was sie wollen, es sind nie mehr als sechs Kreise auf ihren kubischen Büchsen. Auf die runden Büchsen malen die Ausländer unzählige kleine Kreise, von denen sie sagen, es seien Sterne oder aber sie bestreichen sie mit bunten Klecksen, von denen sie behaupten, es seien Festland und Ozeane. Die ovalen Büchsen enthalten ein Sperma, das beim Kochen hart wird, mit einem Auge ohne Augapfel in der Mitte. Man muß sie zerbrechen, um das alles zu finden, und dann ißt man es. In den Büchsen, deren eine weiße Fläche von einem Tuch ersetzt wird, walzt man menschliche Wesen bis zur äußersten Möglichkeit der Plattheit platt und projiziert sie dann durch ein Loch auf das phosphoreszierende Leintuch. Lange Zeit hindurch hat diese Operation die Schauspieler ihrer Stimme beraubt, ohne ihnen jedoch ihre Beweglichkeit zu nehmen. Die neuesten Fortschritte der ausländischen Chirurgie haben sie ihnen zurückgegeben. Manche Ausländer möchten ihnen ihr Volumen wiedergeben, aber andere Ausländer fragen daraufhin: warum das Plattwalzen?

(Raymond Queneau, Heiliger Bimbam, Frankfurt am Main 1987, S. 185ff.).

Freitag, 9. Dezember 2016

Samstag, 3. Dezember 2016

Fenster #63

Borges über Swedenborg

Danach gelangt er zu der Idee, daß die ganze Welt auf Entsprechungen beruhe. Die Schöpfung ist eine geheime Aufzeichnung, eine Kryptographie, die wir auszulegen haben. Alle Dinge sind in Wahrheit Wörter, außer jenen, die wir nicht begreifen können und deshalb wörtlich nehmen müssen.

(Jorge Luis Borges, Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Frankfurt am Main 1991ff., Bd. 16: Die letzte Reise des Odysseus, S. 46).

Seite 26 (Ausschnitt)