Donnerstag, 30. Juni 2016

Montag, der 30. Juni 2014


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Wir hatten vor einigen Wochen dem Busenfreund als dem engsten Vertrauten Hans Köberlins einen Teil unserer Langzeitdokumentation (die Kapitel I-IX) geschickt, um seine Meinung bezüglich der Angemessenheit unserer Darstellung zu erfahren. Hier seine Antwort …
gestern sechsstündige fahrt zurück in die hauptstadt, habe deine schilderung des faunischen lebens unseres freundes bis zur letzten seite gelesen und kam dann in den horror vacui. deine form, deine strukturierung hat es geschafft, sich zu verkoppeln mit dem wahrnehmen an sich; sie fehlte mir plötzlich, merkte, wie mein eigenes wahrnehmen defizitär wurde, weil ohne deine form auskommen müssend. las, um zumindest im modus des lesens wahrzunehmen, etwas später norberto bobbios vom alter – und darin ein zitat von dario belleza …
flüchtig ist die jugend
ein atemzug die reife
furchtbar naht
das alter und dauert
eine ewigkeit.
und dann ergab sich mir das gefühl, daß du mit deinem werk sabotage an dieser zementierten chronologieabfolge betrieben hast: die flüchtigkeit auf dauer zu stellen, auf die dauer eines tages, gestellt im gestell der widerständigen form des »diarisierens«; das vergehen als beständiges ausprobieren, dabei wissend, daß es keine vollständige wiederholung zu geben vermag. es ist unbemerkt dann so, daß mir nichts selbstverständlicher, nichts unbefragter ist denn dieser trias-sog aus literatrischer welt, geographischer welt und innenwelt! hat was von autopoiesis!
die einschläge ob der banalen probleme hans köberlins, der schlechten vergangenheit, der ungewißheit der zukunft werden im laufe des lesens in ihrem echo immer leiser, und gegen ende dann auch erste einschläge seines trockenen humors. stelle mir vor, daß berichte von dieserart einschlägen zunehmen werden.
der sog deines schreibens ist einer eigentlich unmöglichen konstellation geschuldet, in der literarische welt, chlodwig pothsche raumwelt, innenwelt niemals sich gegenseitig instrumentalisieren; die wechsel zwischen ihnen sind keine der flucht, sondern entspringen der möglichkeit, leidenschaftlich nicht tot zu sein (viktor von weizsäcker).
das exil als seinsform hans köberlins blieb nämlich im lesen gegenwärtig, trotz der schönen zeit mit der frau, die du zur sprache bringst; die schöne zeit mit der frau bleibt, ohne auch nur ein jota des im exilseins aufzuheben; der ort und die berge bleiben gegebener raum, ohne daß sie instrumentalisiert werden zu zu material für eine gewollte bewegung des sich einrichtens, heimischmachens, der »verortung«. vor allem aber machte sich mir mit chapeau evident, daß nirgends auch nur ein hauch von therapeuticum zu spüren ist. die zerrissenheit ist rigoros angenommen, aber gleichzeitig erinnerst du negativ dasjenige, was das gegenteil von zerissensein sein kann. es ist eine unglaubliche kraft darin, daß hans köberlin heillos bleibt und du nicht auf irgend lösung, erlösung, wie vermittelt auch immer, hinausschreibst.
unerträgliche vergangenheit touchiert die vergangenheit ertragbar machende vergangenheit des wortes; unmögliche gegenwart touchiert die gegenwart des möglichen (nämlich tatsächlich dort unten zu sein); soziale verzweiflung touchiert die freudenpräsenz in und mit und durch die frau …
einbergung im außen; frau als schönste form des außen.
warte auf die noch zu schreibenden seiten!
und: ich dank hans köberlin, daß er bleibt und wiederkommt!
bis gleich
Als wir das lasen, da waren wir beruhigt.*


* Zum wiederholten Mal: »Es ist kaum zu glauben, wie der geschriebene Satz den Menschen beruhigt und bändigt.« (Elias Canetti, Dialog mit einem grausamen Partner; in: Das Gewissen der Worte. Essays, Frankfurt am Main 1981, S. 54).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XXI [Phase 9 – oder: Die letzte Phase], 10. Juni bis 11. Juli 2014).

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