Donnerstag, 12. November 2015

Spontanrelektüre


Empirie, 2. Update

¡Hans Koberlin vive! in Daten (der Stand von heute):

  • Stand des Manuskripts: S. 866 von ca. 1.800 Seiten
  • Stand der Überarbeitung:
    • Seiten: S. 766 von ca. 1.800 Seiten
    • Kapitel: XII (= Phase V – oder: Un gringo en Calpe) von XXIV Kapiteln nebst einem Anhang
    • Tag der Überarbeitung: Dienstag, der 18. Februar 2014, der 140. von 324 konkreten und von allen möglichen Tagen
  • Fußnoten Stand des Manuskripts: 2427
  • Fußnoten am Stand der Überarbeitung: 2094
  • Beginn der Handlung: 23. Oktober 4004 vor unserer Zeitrechnung, 9 Uhr vormittags*
  • Ende der Handlung: fällt mit dem Ende der (oder bloß einer?) Welt zusammen
  • Beginn der Niederschrift: Mittwoch, den 2. Oktober 2013
  • Ende der Niederschrift: noch nicht abzusehen


* (= die momentane Fußnote 312 auf S. 65) Wir haben für unseren Prolog den Zeitraum von Anbeginn der Schöpfung bis zum Dienstag, dem 1. Oktober 2013 veranschlagt. – Nun: »In der Schiffsbibel von Charles Darwin auf der ›Beagle‹, mit der er von 1831 bis 1836 die Welt bereiste, stand das Datum der Weltschöpfung eingetragen: 23. Oktober 4004 vor Christi Geburt, 9 Uhr vormittags.« (Hans Blumenberg, Die Sorge geht über den Fluß, Frankfurt am Main 1987, S. 47).

Wird aktualisiert!

Spiritualität vs. Esprit

An diesen Meistern und Kennern des Unsichtbaren erstaunt mich vor allem, daß sie, greifen sie zur Feder, um uns ihre Geheimisse mitzuteilen oder zu vermitteln, allesamt schlecht schreiben. Ich will nicht so recht verstehen, daß ein Mensch den Teufel beherrschen kann, nicht aber die portugiesische Sprache. Warum sollte der Umgang mit dem Dämon leichter sein als der Umgang mit der Grammatik? Wer durch eine lange Schulung seiner Aufmerksamkeit und seiner Willenskraft, wie er sagt, Astralvisionen haben kann, wie kann ein solcher Mensch nicht mit wesentlich weniger Aufwand syntaktische Visionen haben? Was an Dogma und Ritual der hohen Magie hindert jemanden zu schreiben, ich sage nicht einmal klar zu schreiben, da Unklarheit vielleicht zum Gesetz des Okkulten gehört, doch zumindest elegant und fließend, was im Bereich des Abstrusen durchaus möglich ist. Warum die gesamte seelische Energie auf das Studium der Sprache der Götter verschwenden und nicht ein Quentchen aufsparen, mit dem man Farbe und Rhythmus der menschlichen Sprache studieren kann?
Ich mißtraue den Meistern, die sich nicht einmal auf die einfachsten Dinge verstehen. Sie sind für mich wie jene befremdlichen Dichter, die außerstande sind, wie jedermann zu schreiben. Ich gestehe ihnen ihre Befremdlichkeit zu; doch wäre es mir lieb, sie könnten mir beweisen, daß sie befremdlich sind, weil den normalen Menschen überlegen und nicht etwa unterlegen sind.
Es heißt, schon so mancher große Mathematiker habe sich beim Zusammenzählen geirrt; doch hier geht es nicht um Irrtum, sondern um Unkenntnis. Hält ein großer Mathematiker zwei und zwei für fünf, ist das ein Zeichen von Zerstreutheit, wie wir sie alle kennen. Was aber Zusammenzählen ist, oder wie man zusammenzählt, muß er wissen. Und das genau ist bei den Meistern des Okkulten in übergroßer Mehrzahl der Fall.

(Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares, hrsg. von Richard Zenith, Zürich 2003, S. 258).

Dienstag, der 12. November 2013


[42 / 282]
»Ich war im Traum auf einem riesigen Kreuzfahrtschiff, war aber irgendwie bei der Mannschaft in den unteren Chargen untergebracht, ich vermutete das, weil ständig per Lautsprecher Anweisungen des Kapitäns kamen und es ein ständiges Gehetze war. Wir waren noch nicht auf dem Meer sondern noch auf Flüssen und Kanälen auf dem Weg dorthin, auf Wasserwegen, die manchmal ziemlich eng wurden. Als an einer Schleuse ein Frachtschiff vorbeikam, desertierte einer der Matrosen: er sprang über Bord und schwamm dorthin, ein Trottel war er, weil nun kam er vom Regen in die noch schlimmere Traufe, denn auf den Frachtschiffen fehlten immer die Leute und man wurde noch mehr gehetzt. Das Kreuzfahrtschiff mußte des öfteren durch Tunnels fahren. In denen waren oben wie eine Galerie Geleise an den Wänden angebracht, auf denen wie in einer Geisterbahn kleine Loren fuhren, von denen aus man das Schiff von oben betrachten konnte, während man es umkreiste, man mußte dabei bloß aufpassen, daß man im Rauch der Schornsteine nicht erstickte. Ich fuhr mit der Frau in einer solchen Lore, es war schön und ein wenig gefährlich aufregend, wie das Fahren in der Domstadt mit der Seilbahn in der winzigen gläsernen Kabine hoch über dem Rhein. Als das Schiff wieder aus dem Tunnel herausfuhr, stand ich oben am Rand der Tunnelausfahrt und wartete darauf, wieder aufspringen zu können, wobei ich aufpassen mußte, nicht in das Wasser zu fallen, das einige hundert Meter unter mir war. Der gigantische Rumpf zog hautnah an mir vorbei und ich spürte förmlich den Stahl. Dann war ich mit der Frau in dem Aussichtsturm des Schiffes. Wegen der frühen Morgenstunden war außer uns noch niemand da. Es war schön dort, mit gigantischen Panoramafenstern, und wir bewunderten die Landschaft, denn wir waren immer noch nicht auf dem offenen Meer.
Mit diesem Eintrag in sein Arbeitsjournal begann Hans Köberlin den Dienstag, den 12. November 2013.* Der verlief in seinem Verlauf weiter wie gehabt, wobei Hans Köberlin seinen am Vortag aufgestellten hiesigen Weitschwimmrekord gleich wieder einstellen konnte – seine absoluten Weitschwimmrekorde im Meer hatte Hans Köberlin vor Jahren in der Cala de Déià auf der Insel des zweiten Gesichts und in Polignano a mare aufgestellt –, noch ein paar Tage stetiger Steigerung, und er würde es bis an die Mauer der Mole, also bis auf die andere Seite der Hafenein- und -ausfahrt, schaffen.** Es gab auch an diesem Tag keine Begegnungen mit Turbanträgern, dafür eine mit einem alten Angelsachsen (Hans Köberlin hatte ihn bereits desöfteren gesehen), der mit einem realen Golfschläger und imaginären Golfbällen Abschläge gen Meer, das sich aber darum nicht kümmerte, übte. Das Ende von Antonionis Blow Up (1966) fiel Hans Köberlin dabei ein, David Hammings wäre, wenn er noch lebte, jetzt in seinem Alter …


* Zum Geburtstag des Regisseurs Jacques Tourneur im Jahre 1904 gab es ein Filmstill mit Jane Greer und Robert Mitchum aus dem film noir Out of the Past (1947). Außerdem hatte Hans Köberlin das Kalenderblatt des Jahres 1996 aufgehoben, das die Regisseurin Véra Belmont bei den Dreharbeiten von Milena (1991) zeigte. Er hatte dieses Blatt wohl nur wegen des enigmatischen Gesichts der Regisseurin aufgehoben, denn er kannte weder sie noch den erwähnten Film noch einen anderen Film von ihr, und er wußte auch nicht, daß die reale Frau hinter der Filmfigur Milena eine Bekannte von Kafka gewesen war. Was Hans Köberlin außerdem nicht auffiel, weil er es nicht wissen konnte, das war, daß das Bild von Véra Belmont hier nichts zu suchen hatte, denn sie war am 17. und nicht am 12. November 1931 geboren worden.
** Er sollte in dieser Schwimmsaison nicht mehr bis an die andere Seite der Hafenein- und -ausfahrt kommen, und in der nächsten Saison, als er wieder dermaßen trainiert war, daß er es hätte schaffen können, war in der Hafenein- und -ausfahrt so viel Schiffsverkehr, daß es deswegen unmöglich war. Zu Hans Köberlin tatsächlichem und bis heute unüberbotenem Weitschwimmrekord siehe unten.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VI [Phase II – oder: post Telos], 3. bis 14. November 2013).