Montag, 30. November 2015

Warum direkt …

Der Mensch ist, und zwar je höher er kultiviert ist, um so mehr das indirekte Wesen.

(Georg Simmel, Schopenhauer und Nietzsche; in: Gesamtausgabe, hrsg. von Otthein Rammstedt, Bd. 8: Aufsätze und Abhandlungen 1901-1908, Bd. II, Frankfurt am Main 1993, S. 58).

Fred Frith

Wer ist der beste Gitarrist der Welt, Ihrer Ansicht nach?

(Padgett Powell, Roman in Fragen, übersetzt von Harry Rowohlt, Berlin 2. Aufl. 2012, S. 141).

Samstag, der 30. November 2013


[60 / 264]
Die Hans Köberlin noch unbekannten Wege führten ihn durch vollkommen menschenleere Gassen mit meist zur Zeit unbewohnten Häusern. Die Stimmung war seltsam …
»Wie in einem Film von Chabrol.«
»Oder von Haneke.«
»Oder von Seidel.«
… es gab keine Bars und keine Restaurants und keine Läden, nur diese Häuser, die so waren, wie das, in dem Hans Köberlin nun lebte, oder angenehm größer oder unangenehm größer und protziger, und er dachte, was laut Borges der Dichter Francisco López Merino am 20. Mai 1928 gedacht hatte.* Trotz des groben Stadtplans wußte er bald nicht mehr, wo er sich befand, beziehungsweise er hatte bloß eine ungefähre Ahnung, denn ganz verlorengehen konnte man angesichts des allesüberragenden Peñón de Ifach nicht. Hans Köberlin hielt sich in einer Richtung, die er für Südwesten hielt. Häufig endeten die Gassen als Sackgassen vor Haustoren und Hans Köberlin hatte bald genug von der Gegend, aber erst nach einer guten Weile stieß er auf eine größere Straße – der Avenida Jaume el Conqueridor –, auf der ab und an ein Auto fuhr und auf deren einem Bürgersteig eine Frau ging. Eine wohlproportionierte Frau in engen Jeans von hinten gehen zu sehen, das gehörte zu den, an der Anzahl aller gemessen doch eher wenigen Phänomenen, die die Schöpfung legitimieren konnten, und so folgte er ihr in einem gebührlichen Abstand, der das Ganze als zufällig erscheinen ließ.** Man kam an einem Campingplatz vorbei und Hans Köberlin sah endlich einmal die turmlose Kirche, deren Glocke er immer einmal wieder (und dies als angenehm empfindend) hörte. Es kamen auch die Errungenschaften der Zivilisation: Bars, Restaurants und ein Gartenmarkt, und zu Hans Köberlins Überraschung kam die Straße unten bei den beiden Supermärkten heraus und stieß auf einen Verkehrskreisel der Avenida Juan Carlos I. Die Frau vor ihm ging in den ›Mercadona‹, und Hans Köberlin, der nichts einzukaufen hatte und sich auch auf nichts einlassen wollte, ging weiter Richtung Strandpromenade.


* »Camina por la calle 49; piensa que nunca atravesará tal o cual zaguán lateral.« (Jorge Luis Borges, Mayo 20, 1928; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 12: Schatten und Tiger, Frankfurt am Main 1993, S. 30). »Nada en la tierra puede herirlo …« (ebd.), Borges’ Gedicht beschrieb sehr gut, was auch Hans Köberlin an einem bestimmten Punkt seines Daseins empfunden hatte.
** Unübertroffen der geniale Bruno Schulz: »Sie ging vor mir her und wandte sich – der magnetischen Wirkung ihrer spielenden Hüften sicher – überhaupt nicht um. Sie machte sich einen Spaß daraus, diesen Magnetismus noch zu verstärken, indem sie die Entfernung unserer Körper regulierte.« (Bruno Schulz, Gesammelte Werke in zwei Bänden, hrsg. von Mikolaj Dutsch und Jerzy Ficowski, München / Wien 1992, Bd. 1, S. 237). Wir wollten uns in Telos über diese schöne Beschreibung auslassen, kamen aber nicht mehr dazu (vgl. vom Verf. Telos oder Beiträge zu einer Mythologie des Clemens Limbularius. Fragment, Berlin 2013, S. 301). Und morgen sollte Hans Köberlin im Ulysses lesen: »Bloom pointed quickly. To catch up and walk behind her if she went slowly, behind her moving hams. Pleasant to see first thing in the morning.« (James Joyce, Ulysses, with an Introduction by Cedric Watts, London 2010, S. 52). Und Michel Houellebecq hatte in Soumission treffend über die Betrachtung von Frauenärschen geschrieben, es sein ein kleiner träumerischer Trost in dieser Welt (vgl. Michel Houellebecq, Die Unterwerfung, Köln 2015, S. 156).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Sonntag, 29. November 2015

Freitag, der 29. November 2013


[59 / 265]
Am Abend nach Fisch und Brot sah Hans Köberlin wieder – es war ein Laster! – die Wiederholung einer Tatortepisode: Pauline (2006). Bei einigen Passagen dachte er, das sei wie Fargo (1996) in Niedersachsen, wobei die Protagonistin der Coens in ihre zwei Komponenten aufgespalten worden wäre. Es war dadurch eine der etwas besseren Episoden, in der gleich zwei spätere Kommissare mitwirkten, aber Ingo Naujoks, vor der Katastrophe ein Nachbar von Hans Köberlin (wie auch Jochen Senf alias Kommissar Palu), hatte wieder seine beschissene Rolle als saftloser Kriminalschriftsteller.
An Musik hörte Hans Köberlin …
  • On Alligators von Charles Wourinen,
  • ein Klavierstück von Josef Matthias Hauer,
  • vier Vorspiele von Ralf Wehowsky,
  • Lʼoiel returné von Lionel Marchetti,
  • Zukunftsmusik, ein äußerst gelungener Sampler (unter anderem mit Stücken von Rudolf Thomes ehemaliger Hauskomponistin Katia Tchemberdji), ein Sampler also, bei dessen Musik es nicht, wie der Titel vielleicht suggerierte, um die Zukunft der Musik oder die Musik der Zukunft,* sondern um die zukünftigen Musiker ging: es waren zeitgenössische Kammermusikstücke mit besonderem Hinblick auf junge Interpreten geschrieben, und er hörte noch
  • Amicata Sole von Alexander Knaifel.
Dann begab er sich zur Ruhe.


* Borges hatte geschrieben, er wisse nicht, ob die Musik an der Musik verzweifeln könne, der Marmor am Marmor, aber die Literatur sei eine Kunst, die jene Zeit prophezeien könne, da sie verstummt sein werde, eine Kunst, die imstande sei, gegen die eigene Kraft zu wüten, sich in die eigene Auflösung zu verlieben und ihr Ende zu umwerben. – Nun, wir glauben, daß diese Fähigkeit, an sich selbst zu verzweifeln, aller seriösen oder zumindest aller seriösen romantischen Kunst eigen ist, und nicht nur eigen ist, sondern Bedingung zu ihrer Möglichkeit. (Wir merken gerade, daß wir das bereits einmal genau so geschrieben haben –: seis drum …).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Samstag, 28. November 2015

Vom kleineren Übel

Wie tragisch, nicht an die menschliche Fähigkeit zur Vervollkommnung zu glauben!
– Und wie tragisch, an sie zu glauben!

(Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares, hrsg. von Richard Zenith, Zürich 2003, S. 286).

Donnerstag, der 28. November 2013


[58 / 266]
Auch an diesem Morgen, nachdem er nach der Aktualisierung des Filmkalenders ein Still aus Max Ophüls’ Adaption der Stefan-Zweig-Novelle Brief einer Unbekannten goutiert hatte, hörte Hans Köberlin während seines Dauerlaufs Cages Indeterminacy, er begann aber diesmal mit dem zweiten Teil, um mit dem Hören weiter als gestern zu kommen. Das hatte den Nebeneffekt – der Cage bestimmt gefallen hätte –, daß es zu einer Art von Phasenverschiebung betreffs des Hörens bestimmter Geschichten und den Orten des Hörens dieser Geschichten kam, weil Hans Köberlin sich beim jeweiligen Hören an die Orte des vormaligen Hörens erinnerte, die spezifische Rezeptionssituation war ihm ja – was einen bei Hans Köberlin sicher nicht wunderte – Teil der Rezeption. So hörte er zum Beispiel heute die Geschichte von Cages Freund mit dem alten Ford, die er gestern an den Stufen zum Strand südlich hinter der Hauptstraße gehört hatte, bereits auf einer der Straßen im Hinterland. Er hörte die Geschichte also aktuell und simultan, quasi als Echo aus der Vergangenheit … Und er sollte sich fürder, wenn er die Rezeptionsorte auch ohne Cage zu hören passierte, an die Cage-Rezeptionssituation während seines Dauerlaufs erinnern.
In einer anderen Geschichte, die Hans Köberlin diesmal überhört hatte oder die sich im ersten, diesmal nicht gehörten Teil befand (der Erinnerung der Rezeptionssituation nach war der erste Fall, also das Überhören, wahrscheinlicher), ging es um ein Mädchen, das in einer schulischen Situation nie ihre Aufgaben erledigte. Als sie gefragt wurde, warum sie das nicht täte, antwortete sie, sie habe keine Zeit dafür gehabt. Was sie denn glaube, so der Lehrer weiter, wie viele Stunden ein Tag habe? – Na, vierundzwanzig. – Nein, so der Lehrer weiter, der Tag habe so viele Stunden, wie man ihm geben würde. – Da war etwas dran, so Hans Köberlin, aber wie bei allen solchen Geschichten mit Klugscheißern: nur etwas, der Hauch einer Metapher, denn der Tag hatte nun einmal bloß vierundzwanzig Stunden, da biß die Maus keinen Faden ab.*
Noch eine andere Geschichte gefiel Hans Köberlin außerordentlich: »Artists talk a lot about freedom«, so Cage, und man gebrauche häufig den Vergleich »free as a bird«,** nun, Morton Feldman habe neulich im Park Vögel beobachtet (»our feathered friends«, nannte sie Cage) und sei zu der Einsicht gekommen: »They’re not free: they’re fighting over bits of food«, eine Erfahrung, die Hans Köberlin auch mit den Spatzen und den Tauben und den Möwen auf der Terrasse der ›Tango Bar‹ machte, und er, Hans Köberlin, war auch nicht frei, denn er mußte seine Nüßchen zum Wein gegen seine gefiederten Freunde, die er eher als seine gefiederten Feinde betrachtete, verteidigen (und natürlich sympathisierte er mit dem Taubenvergifter im Park).
Und wenn Cage von einer Einladung zu einem Essen bei einer indischen Freundin erzählte, zu dem außer ihm noch Dr. Suzuki, Gertrude Stein und James Joyce gekommen,*** da dachte Hans Köberlin: »Ach …!«
Es fielen immer einmal wieder Regentropfen während Hans Köberlins Dauerlauf, er kürzte also seine Route im Zentrum des Ortes ab und kümmerte sich nicht weiter, aber dann, kurz vor dem Peñón de Ifach wurde der Regen sehr heftig, und als er an der cervezeria, in der er vor Wochen (wie vielen?) mit der Frau gesessen und das Judasbier (8,4% vol.) getrunken, vorbeikam, gab es einen derart heftigen Hagelschauer, daß Hans Köberlin sich unterstellen mußte, während Cage von einem Areal mit seltenen Pilzen erzählte, die, als er sie im nächsten Jahr wieder dort sammeln wollte, verschwunden waren, was von den Anwohnern, die ihn als den Sammler wiedererkannten, mit Häme kommentiert worden sei, Dumpfbacken, die kaputtmachen mußten, was über ihren beschränkten Horizont ging; Hans Köberlin hatte diese Geschichte gestern auf der Promenade auf der Höhe der ›Pizzeria Napoli‹ gehört …****


* Wolfgang Neuss zu dem Thema: »Alle Tage sind zwar gleich lang, aber unterschiedlich breit.«
** Lynyrd Skynyrd, Free Bird (1973) …
But, if I stayed here with you, girl
Things just couldn’t be the same
’Cause I’m as free as a bird now
And this bird, you can not change
Oh, oh, oh, oh, oh …
*** Da aber hatte Hans Köberlin nicht aufmerksam zugehört …»An Indian lady invited me to dinner and said Dr. Suzuki would be there. He was. Before dinner I mentioned Gertrude Stein. Suzuki had never heard of her. I described aspects of her work, which he said sounded very interesting. Stimulated, I mentioned James Joyce, whose name was also new to him. At dinner he was unable to eat the curries that were offered, so a few uncooked vegetables and fruits were brought, which he enjoyed. After din-ner the talk turned to metaphysical problems, and there were many questions, for the hostess was a follower of a certain Indian yogi and her guests were more or less equally divided between allegiance to Indian thought and to Japanese thought. About eleven o’clock we were out on the street walking along, and an American lady said, ›How is it, Dr. Suzuki? We spend the evening asking you questions and nothing is decided.‹ Dr. Suzuki smiled and said, ›That’s why I love philosophy; no one wins.‹« (John Cage, Composition as Process; in: Silence. Lectures and writings by John Cage, Hanover / New England 1961, S. 41).
**** In Peter Handkes Der große Fall (Berlin 2011, S. 93f.) gab es eine frappant verquer-analoge Szene zu Hans Köberlins Cages Pilzmanie per Ohrstöpsel rezipierende Situation: »Der eine Pilzsucher hatte Musikstöpsel im Ohr, und erklärte, nachdem er die beim Grüßen herausgenommen hatte: Äugen nach Pilzen und Musikhören – vor allem die von John Cage und Morton Feldman – ergänzten einander wie fast nichts sonst. Noch besser zu dem Ausschauhalten nach den Sommerpilzen jetzt passe das Westernlied vom ›Summer Wine‹. Es war ein junger Mensch, der ihm das anvertraute, und der war sich sicher, daß sein Beispiel, mit einem Musikhelm auf ›Pilzjagd‹ – so drückte er sich aus – zu gehen, Schule machen würde. Er habe eine Serie von Artikeln veröffentlicht, was man auf diese Weise alles, und wie zum ersten Mal, erleben könne, nein, nicht in einem Pilzmagazin, im ›Rolling Stone‹, und seitdem wandelten in ganz Europa junge Leute, statt mit dem Scheppern aus ihren Kopfhörern die Mitfahrer in den Zügen und U-Bahnen zu nerven, die Augen still zu Boden gerichtet und ebenso still den wenigen Tontropfen, nur ihnen selber hörbar, lauschend –, das eine Aufmerken gäbe das andere, und umgekehrt, und all die Rauschpilze seien nichts dagegen und prompt aus der Mode gekommen.«

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Freitag, 27. November 2015

Mittwoch, der 27. November 2013


[57 / 267]
Hans Köberlin hörte während seines Dauerlaufs tatsächlich John Cages Indeterminacy, er schaffte die ersten beiden Teile und zehn Minuten des dritten Teils, das bedeutete, daß er in den vergangenen eineinhalb Wochen des Dauerlaufens auf der großen Dauerlaufstrecke schneller geworden war. In einer dieser Geschichten erzählte Cage (während Hans Köberlin südlich hinter der Hauptstraße Treppenstufen hinunter zum Strand lief) von einem Freund aus der Stadt des Lichts, der seinen alten Ford (wohl so ein Kleinbus, ›Transit‹ oder wie die Dinger geheißen) mit Möbeln und Topfpflanzen zu einem mobilen Wohnzimmer gemacht hatte. Eines Tages dann sei er damit vor einer Hamburgerbude vorgefahren, habe einen roten Teppich ausgerollt, sei darüber in die Bude gegangen, habe einen Hamburger gegessen, habe anschließend den Teppich wieder eingerollt und sei weitergefahren. – Mit dem Hören von John Cages Geschichten, während des Dauerlaufens im Hinterland, vorbei an den beiden Discountern aus Hans Köberlins Herkunftsland, die zu boykottieren er sich entschlossen hatte, und vorbei an dem dazwischen liegenden nach Odysseus benannten Trailerpark und den beiden vereinzelten Hochhäusern im Hinterland, und über die Brücke über das ausgetrocknete Flußbett (wir vergessen immer, wie diese hier häufig vorkommenden ausgetrockneten Flußbetten genannt wurden) am Ende des Hinterlande und am Anfang des Ortes, und vorbei an den beiden Tankstellen und über die Straße, die wegen der sie flankierenden Allee als einzige Avenida des Ortes in Hans Köberlins Imagination die Bezeichnung Avenida verdient hatte und auf deren Zebrastreifen er wegen des hiesigen Fahrstils stets befürchtete, daß ihn hier einmal sein Schicksal ereilen könne …: mit John Cage im Ohr von einem dieser protzigen SUVs, wie man die dämlich nannte, überrollt …* – aber das mit der Avenida stimmte nicht ganz: es gab noch die ein oder andere Stelle, die sich ihre Berechtigung aus anderen (Re-)Imaginationen Hans Köberlins holen konnte – und weiter durch den Ort an die Promenade und dann am Meer entlang – mit dem Hören von John Cages Geschichten also sollte es seine besondere Bewandtnis haben, aber dazu später mehr.


* Hans Köberlin imaginierte sich während des Dauerlaufens überfahren, tot in dramatischer Positur auf den Zebrastreifen der Avenida, Mittelpunkt eines Kreises entsetzt neugieriger Schaulustiger, das SUV mit Warnblinklicht am Rand der Avenida, dahinter, ebenfalls blinkend das Auto der Rettung, und der Gerichtsmediziner oder der Rettungssanitäter nahm ihm, Hans Köberlin, den Ohrhörer aus dem Ohr und hörte, weil Hans Köberlins Taschentelephon immer noch funktionierte …: »I went to hear Krishnamurti speak. He was lecturing on how to hear a lecture. He said, ›You must pay full attention to what is being said and you can’t do that if you take notes.‹ The lady on my right was taking notes. The man on her right nudged her and said: ›Don’t you hear what he’s saying? You’re not supposed to take notes.‹ She then read what she had written and said: ›That’s right. I have it written down right here in my notes.‹« (John Cage, Indeterminacy; in: Silence. Lectures and writings by John Cage, Hanover / New England 1961, S. 269), und der Gerichtsmediziner oder der Rettungssanitäter schaute verständnislos auf, schüttelte mit dem Kopf und sagte, was Hans Köberlin hier zu sagen pflegte, wenn er sich einen Kaffee bestellte: ¡Un americano!«

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Donnerstag, 26. November 2015

Dienstag, der 26. November 2013


[56 / 268]
Als er nach dem Dauerlauf vor dem hinteren Tor seines Hauses stand und es gerade aufschließen wollte, da hielt ein Auto, ein Kastenwagen, die Scheibe wurde heruntergekurbelt und man fragte Hans Köberlin etwas im hiesigen Idiom. Der bekundete sein Nichtverstehen, woraufhin mehrmals in den Kasten des Kastenwagens gedeutet wurde. Hans Köberlin schaute hinein, aber da lag bloß Gerümpel, und erst beim dritten oder vierten Deuten fiel ihm der Groschen: es waren Schrotthändler, die ihn gefragt, ob er Altmetall …
»¡Si señor, la chatarra!«
… abzugeben habe. – Nein: Altmetall hatte Hans Köberlin nicht abzugeben.
Als er das Kalenderblatt mit dem Still aus Werner Herzogs Fata Morgana von seinem Filmkalender abriß, da sah Hans Köberlin Benkt Ekerot mit Max von Sydow beim Schachspiel, jenes emblematisch gewordene Still aus Ingmar Bergmans Det sjunde Inseglet (1957). Anlaß war der Tod des Tod-Darstellers Benkt Ekerot im Jahre 1971 (da war Hans Köberlin elfeinhalb Jahre alt gewesen). Der Gott suchende oder nach ihm strebende heimkehrende Kreuzritter zog mit seinem agnostischen Knecht,* Gauklern und noch anderen Gestalten durch das mittelalterliche, von der Pest heimgesuchte Schweden, begleitet von dem personifizierten Tod, der mit dem Ritter um dessen Leben beziehungsweise um einen Aufschub des Endes für eine Sinnsuche Schach spielte. Hans Köberlin erkannte sich in dem Knecht wieder, der Gegenentwurf zu dem Ritter war allerdings der eine Gaukler mit seiner Frau und ihrem Kind, alle drei zuversichtlich und lebensbejahend.** Beeindruckend und anrührend war dieser Moment des Friedens, mit der frischen Milch und den Walderdbeeren, ein Moment der nicht dauern konnte und von der Disposition her wohl nur von der kleinen Familie reproduziert werden konnte (Hans Köberlin dachte an den Busenfreund und die seinen, obwohl da wegen moderner alltäglicher Nöte nicht diese Leichtigkeit herrschte). Die Menschen, die sonst noch vorgeführt wurden, teilten sich in solche, die Mitleid verdienten und solche, die nicht. Schrecklich zu sehen war, daß das Mädchen nicht vor dem Scheiterhaufen gerettet werden konnte.
»Ich hätte vielleicht das Düstere durch den Schmied, seine Frau und den dritten Gaukler – Zwischenstadien zwischen dem Kreuzritter und seinem Knecht auf der einen und der Familie auf der anderen Seite, nicht so aufgelockert.« Aber gelungen war die Ökonomie des Films: die ausführliche Erzählung des Gauklers von seiner Vision zu Beginn wurde am Ende dadurch legitimiert, daß seine visionäre Gabe ihnen das Leben rettete.


* Liebe sei ein Euphemismus für Lust, meinte der sinngemäß zu dem Schmied, dem die Frau davongelaufen war … nun: Lust ist eine zwar nicht hinreichende aber notwendige Bedingung zu der Möglichkeit von Liebe, würden wir sagen.
** »Ein Knabe in diesem Monat geboren ist offen und ehrlich, hat Recht und Billigkeit lieb, und möchte sie um alles in der Welt nicht beleidigen. Wenn er nicht Hunger stirbt wird er ein hohes Alter erreichen.« So Matthias Claudius in seinem Prognostikon auf das Jahr 1773, wie Hans Köberlin vor zwei Tagen in zwei Jahren auf dem Kalenderblatt seines Zitatenkalenders lesen sollte, nachdem er sich zuvor schlaflos neben der Frau in Thomas Manns Doktor Faustus mit dem schlimmen Ende Echos beschäftigt hatte.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Mittwoch, 25. November 2015

Ein ›Ja.‹ und ein ›Nein.‹

»Hatten Sie Gelegenheit zu Ihrem ersten sexuellen Kontakt, bevor es zu Ihrem tatsächlichen ersten sexuellen Kontakt kam? Ihnen war aber gar nicht klar, daß es eine Gelegenheit zu Ihrem ersten sexuellen Kontakt war? Würden Sie, wenn Sie könnten, zu dieser ersten Gelegenheit zurückkehren und alles entfernen, was Sie daran gehindert hat, diese Gelegenheit klar zu erkennen? Oder, wenn Ihnen damals klar war, daß es eine Gelegenheit war, es aber andere Hindernisse gab, die dem Zustandekommen des Kontakts im Wege standen, würden Sie diese Hindernisse beseitigen und diesen ersten sexuellen Kontakt früher knüpfen als den ersten sexuellen Kontakt, zu dem es dann tatsächlich kam? Wenn es in Ihrer Vergangenheit einen verpaßten ersten sexuellen Kontakt gibt, erinnern Sie sich, wie die Person hieß, um die es bei diesem Kontakt vielleicht gegangen wäre?« (Padgett Powell, Roman in Fragen, übersetzt von Harry Rowohlt, Berlin 2. Aufl. 2012, S. 91).

Ja.

»Wären Sie bereit, mir den Namen sowie weitere Einzelheiten mitzuteilen?« (ebd.).

Nein.

Montag, der 25. November 2013


[55 / 269]
… heute vor 133 Jahren, während jenes für beide Seiten fatalen Kriegs mit Preußen und seinen Verbündeten, schrieb Edmond (Jules war im vorhergegangenen Sommer bloß 39jährig verstorben) …
Freitag, 25. November – Nie, scheint mir, war die Herbststimmung so schön wie dieses Jahr. Das rührt vielleicht daher, daß ich mehr denn je darauf achte und stets den Blick auf den preußischen Horizont gerichtet habe.
Heute abend konnte ich nicht genug davon bekommen, dieses bis ins Blaue reichende, sonnenbeschienene Gestrüpp zu betrachten, zwischen jenen Trümmern und toten Krummhölzern im Rosaton der Heidekräuter; die Anhöhe von einem heftigen Violett; die Häuser von Saint-Cloud in unbeschreiblichem bläulichen Weiß, hervorgerufen durch die Rauchschwaden des ewigen Brandes, der dort seit Monaten schwelt.
Und diese Landschaft eines Farbenkünstlers hatte als Himmel einen Feuerhimmel in Kirschrot, der in kreisförmigen Höfen zwei oder drei wundersame Flecken von blassem Blau umschloß, von einem Blau, das Lessore auf die Fayence seiner Teller tupft.
Edmunds Beschreibung der Kriegsereignisse aus einer ästhetischen Perspektive, als ob er ein Bild oder eine Zeichnung beschriebe, zog sich durch die ganze Zeit der preußischen Belagerung der Stadt der Liebe, manchmal sogar damit die Not der Bevölkerung denunzierend.* Überhaupt beklagte sich er, der sich selber nicht zu den Nationalgardisten gemeldet, über die Feigheit der Armeen und den mangelnden Heroismus der Arbeiter, siehe etwa seinen Eintrag vom Donnerstag, dem 29. Dezember 1870.** Auch Hans Köberlin würde sich unter Berufung auf Pred 9.4 für keine Fortsetzung mit anderen Mitteln einer per se verfehlten Politik abschlachten lassen, und für irgendwelche Vaterländer schon gar nicht.*** Er verglich Edmonds Kriegsimpressionen aus den Jahren 1870 und 1871 mit denen Prousts, der beschrieben hatte, wie sich Charlus während des ersten Weltkriegs, als erneut die Hunnen im Land gewesen und seine Hauptstadt bedroht hatten, in dubiosen Katakomben ficken ließ …**** Edmonds Patriotismus … ohne Jules würde, so befürchtete Hans Köberlin, das Journal mangels Frivolitäten an Reiz verlieren, oder anders gesagt: mangels nacktem Fleisch an Geist …*****


* Hier ein Beispiel vom nächsten Tag, dem Samstag, dem 26. November 1870: »Dort bricht eine Bande von Kindern, Frauen und Männern an diesen armen Bäumen herum, die, wenn sie vorüber sind, mit hel-len Rissen, auf den Boden hängenden Ästen und verdrehten Zweigen widerspenstigen Holzes zurückbleiben – eine Plünderung, die empört und die Zerstörungswut der Pariser Bevölkerung entlarvt.« (Edmond & Jules de Goncourt, Journal. Erinnerungen aus dem literarischen Leben, Leipzig 2013, Bd. 5, S. 274f.). Die Leute brauchen halt Brennholz.
** Ebd., S. 306ff. Aber dann später, während der Tage der Commune, am Mittwoch, dem 12. April 1971, machte er folgende Feststellung: »Pourquoi cet acharnement dans la défense, que n’ont pas rencontré des Prussiens? Parce que l’idée de la Patrie est en train de mourir! Parce que la formule ›les peuples sont des frères‹, a fait son chemin, même en ce temps d’invasion et de cruelle défaite. Parce que les doc-trines d’indifférence de l’Internationale, au point de vue de la nationalité, ont filtré dans les masses. Pourquoi encore cet acharnement dans la défense? C’est que, dans cette guerre, le peuple fait, lui-même, la cuisine de sa guerre, la mène lui-même, n’est pas sous le joug du militarisme. Cela amuse ces hommes, les intéresse. Alors, rien ne les fatigue, rien ne les décourage, rien ne les rebute. On obtient tout d’eux – même d'être héroïques.« (vgl. ebd., S. 393f.).
*** Er käme auch nicht weit, selbst wenn er es gewollt, denn um ihm war es wie um seinen Namensvetter Hans Castorp bestellt: »Abenteuer im Fleische und Geist, die deine Einfachheit steigerten, ließen dich im Geist überleben, was du im Fleische wohl kaum überleben sollst.« (Thomas Mann, Der Zauberberg, Frankfurt am Main 1986, S. 994).
**** Edmond wurden am Mittwoch, dem 18. Mai 1871 ähnliche Geschichten bezüglich Victor Hugo während der Belagerung zugetragen, Details, die von Madame Meurice stammten: Hugo sei der Typ des von heftigem Priapismus befallenen Sechzigjährigen, ein wahrer Balzac’scher Hulot, jeden Abend gegen zehn Uhr habe er das Hôtel Rohan, wo er Juliette, unter dem Vorwand, seine Enkel zu hüten, kaserniert gehabt, verlassen und sei zurück in das Haus Meurice, wo ihn ein, zwei, drei Frauen, über die auf der Treppe die verschreckten Mieter gestolpert, erwartet hätten, und diese Frauen seien alle möglichen gewesen, von den Erlauchtesten bis zu den letzten Drecksgestalten, und durch die Fenster des Erdgeschosses, in dem sich Hugo sein Schlafzimmer ausgesucht habe, hätte das Dienstmädchen von Madame Meurice morgens oder abends, wenn sie im Garten umherging, unverhohlene Szenen obszöner Unzucht gesehen (vgl. Journal, a. a. O., Bd. 5, S. 437).
***** Edmond hatte wohl auch nicht so das Geschick dazu wie sein Bruder, siehe den Eintrag vom Neujahrstag 1872, wo er bekannte, er habe in der Nacht vergeblich versucht, in der Brutalität tierischer Wollust die erste Stunde des neuen Jahres zu verleugnen (vgl. ebd., S. 515). Und wenn er am Mittwoch, dem 17. Juli 1872 schrieb, er koitiere viel, dann gab er gleich zu, er täte es, wie andere Leute trinken würden, aus Gram und um zu vergessen (vgl. ebd., S. 580f.).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Dienstag, 24. November 2015

Sonntag, der 24. November 2013


[54 / 270]
Während des Frühstücks im leeren Wintergarten hatte Hans Köberlin beschlossen, später am Nachmittag auf neuen Wegen spazieren zu gehen und die Küste nördlich seines Hauses zu erkunden. Es sollte sich als eine gute Entscheidung herausstellen, nach Norden zu gehen, denn es gab einen wunderbaren Wanderweg unmittelbar an der Küste entlang.* Hans Köberlin fand den wunderbaren Wanderweg allerdings erst, nachdem er sich ein paarmal in dem Labyrinth der Urbanizaciónes verlaufen hatte. Hier auf dieser hochhausfreien Seite der Ausfallstraße, waren nicht die casas der klein- und mittelbürgerlichen Rentner aus Nordeuropa und den etwas besser gestellten neureichen Einheimischen, hier steckte das wirklich dicke Geld, wie man so sagte, wenn auch nicht unbedingt immer auch der gute Geschmack. Und dem wirklich dicken Geld entsprechend war auch das Publikum in der traumhaft gelegenen ›Coral Beach Bar‹, die er auf seinem Weg zu der Playa La Fossa-Levate stets aus der Ferne sah, und dem wirklich dicken Geld entsprechend schien auch die Speisekarte – jedenfalls vom Augenschein der an den Nachbartischen servierten Speisen – etwas gehobener zu sein. Hans Köberlin überlegte, wenn möglich (was die Termine und sein Budget betraf) die Frau hierhin zu Weihnachten oder zu Sylvester einzuladen. Eine der Kellnerinnen (oder die Eignerin?), die ein wenig so aussah wie Anjelica Huston als Morticia in The Addams Family (1991), sprach Hans Köberlins Idiom, die könnte er bei Gelegenheit nach den Öffnungs- und Reservierungsmodalitäten fragen, denn er war bei dieser exponierten Lage bestimmt nicht das letzte Mal hier, obwohl der Wein und die cerveza fast doppelt so viel wie in der ›Tango Bar‹ oder in der ›Status Bar‹ kosteten.


* Als er die Küste erreichte, machte Hans Köberlin ein Bild von dem bis auf die gelbe Boje leeren blauen Meer, dessen Horizont in einer wie mit dem Lineal gezogenen Linie an den blauen Himmel anschloß. Dieses Bild sollte Hans Köberlin später während seines ersten Intermezzos bei der Frau in der Hauptstadt anstelle des von dem Betriebssystem angebotenen Bildes des Gewölbes eines Schneckenhauses zu dem Eröffnungshintergrundbild beim Aktivieren seines großen Laptops machen.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Montag, 23. November 2015

… so kommt des Winters Dauer … (Hölderlin)

Samstag, der 23. November 2013


[53 / 271]
Und was hatte er diese Woche, die nun auch schon wieder vorbei war, diese Woche nach dem Rückflug der Frau am Montag, gemacht?
  • Am Dienstag, dem 19. November 2013, hatte er nochmals Fehler im Telosfragment eliminiert,
  • am Mittwoch, dem 20. November 2013, hatte er die endgültige Druckvorlage neu erstellt und sie an den Verleger und die Druckerei übermittelt,
  • am Donnerstag, dem 21. November 2013, waren die originalsprachliche Ausgabe des Ulysses und das Journal der Goncourts* gekommen und
  • gestern, am Freitag, dem 22. November 2013, war wieder ein reiner Lese- und Schreibtag gewesen.

* Die Brüder heute vor 150 Jahren: »Dieser Tage lesen wir die Moeurs von La Popelinière, dieses Buch von so hübscher Unanständigkeit, die sich zum Schluß in ein Meer frecher Mösen stürzt. Und es schien uns beim Lesen, als sähen wir jeden Augenblick die Frauen des Malers Baudouin ihre Röcke schürzen und zu Modellzeichnungen von Boucher werden.« (Edmond & Jules de Goncourt, Journal. Erinnerungen aus dem literarischen Leben, Leipzig 2013, Bd. 3, S. 675f.).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Sonntag, 22. November 2015

Freitag, der 22. November 2013


[52 / 272]
Aus seiner Merkurlektüre, der sich Hans Köberlin nach längerer Abstinenz (seit Juli) wieder zuwandte, erfuhr er, während er hungrig trockenes Brot essend darauf wartete, daß die Dorade in der Backröhre gar würde und während in dem hiesigen Klassiksender, den er in dem Radio in der Küche eingestellt, diverse Variationen in diversen Versionen des Papagenothemas gespielt wurden, daß es in the international spoken language für Waswärewenngeschichten auf globalem Niveau den Begriff »alternate history novel«* gab. Dies allerdings war Hans Köberlins Genre nicht …


* Hannes Stein, Nachrichten aus Niemalsland; in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, hrsg. v. Christian Demand, Heft 770, 67. Jahrgang, Stuttgart Juli 2013, S. 661: »Das Wort ist: Uchronie. Eine Zusammensetzung aus dem griechischen ›ou‹ (nicht [womit Odysseus ja angesichts des Kyklopen gespielt hatte]) und ›chronos‹ (Zeit). In einer Uchronie geht es um eine Nichtzeit; eine Epoche, die niemals war. Zum ersten Mal begegnet uns das Wort in Uchronie, l’utopie dans l’histoire von Charles Renouvier aus dem Jahr 1857. Ein merkwürdiges Buch, das nur noch antiquarisch zu haben ist. Charles Renouvier war ein französischer Philosoph, ein Neukantianer sehr eigenwilliger Prägung. In Uchronie präsentiert er ein Manuskript, das angeblich von einem Mönch aus dem 16. Jahrhundert stammt, dem Zeitalter der Religionskriege in Frankreich. Jener Mönch stellt sich vor, Marc Aurel hätte Avidius Cassius zu seinem Nachfolger als Imperator ernannt (in der Realhistorie ein Usurpator, dessen Aufstand Marc Aurel bekämpfte). Daraufhin avanciert das Christentum nicht zur römischen Staatsreligion, die Kirche bleibt im Untergrund, und in Frankreich fällt die Bartholomäusnacht aus.«
In zwei Tagen, sollte Hans Köberlin beim Lesen des zweiten Kapitels von Ulysses in Stephen Dedalus’ stream of conciousnes auf uchronische Gedanken stoßen: »Had Pyrrhus not fallen by a beldam’s hand in Argos or Julius Caesar not been knifed to death. They are not to be thought away. Time has branded them and fettered they are lodged in the room of the infinite possibilities they have ousted. But can those have been possible seeing that they never were? Or was that only possible which came to pass? Weave, weaver of the wind.« (James Joyce, Ulysses, with an Introduction by Cedric Watts, London 2010, S. 23). Und nach dem Examinieren eines Schülers hängte er noch einen Gedanken daran: »It must be a movement then, an actuality of the possible as possible.« (ebd., S. 24).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Samstag, 21. November 2015

Donnerstag, der 21. November 2013


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DAS ORIGINAL* DIE ÜBERSETZUNG VON GEORG GOYERT DIE ÜBERTRAGUNG VON HANS WOLLSCHLÄGER
Stately, plump Buck Mulligan came from the stairhead, bearing a bowl of lather on wich a mirror and a razor lay crossed. A yellow dressinggown, ungirdled, was sustained gently behind him by the mild morning air. He held the bowl aloft and intoned:
   – Introibo ad altare Dei.
Gravitätisch kam der dicke Buck Mulligan vom Austritt am oberen Ende der Treppe: er trug ein Rasierbecken, auf dem kreuzweise ein Spiegel und ein Rasiermesser lagen. Im milden Morgenwind bauschte sich leicht hinter ihm ein gelber, ungegürtelter Schlafrock. Er hob das Becken in die Höhe und stimmte an:
   »Introibo ad altare Dei.«
Stattlich und feist erschien Buck Mulligan am Treppenaustritt, ein Seifenbecken in Händen, auf dem gekreuzt ein Spiegel und ein Rasiermesser lagen. Ein gelber Schlafrock mit offenem Gürtel bauschte sich leicht hinter ihm in der milden Morgenluft. Er hielt das Becken in die Höhe und intonierte:
   – Introibo ad altare Dei.
Zitierte Buck Mulligan Ps 43.4 auch deswegen, weil im Latein der Vulgata ›troi‹ anklang, oder hatte Hans Köberlin zuviel Arno Schmidt gelesen?
»Stattlich und feist« erschien Hans Köberlin – auch hinsichtlich Buck Mulligans stattlichem und feistem Charakter** – als die charakteristischere Lösung, und daß er sich auf dem oberen Ende der Treppe befand,*** das würde man im nächsten Satz erfahren, und mit »Seifenbecken« war die Wiederholung von »Rasier-« vermieden, und »kreuzweise« hatte Konnotationen, die hier wohl nicht anklingen sollten, und »mild« korrespondierte besser mit »Luft« und die wörtliche Übersetzung »ungegürtelt« klang holprig; bloß im letzten Satz zog Hans Köberlin das »hob« dem »hielt« vor, denn dadurch wurde die Travestie einer sakralen Handlung anschaulicher.


* … aber was hieß in diesem Fall schon ›Original‹? Siehe Hans Wollschlägers Nachbemerkung zu seiner Übertragung: »Es gibt zur Zeit immer noch keinen zuverlässigen, fehlerfreien englischen Text des Ulysses: alle Ausgaben des Originals sind unverhältnismäßig korrupt. Die vorliegende Übersetzung stützt sich hauptsächlich auf den Text von Random House, New York I961. Die Herausgeber haben aber alle ihnen bekannten, d. h. publizierten oder von Joyce-Forschern in Textstudien vorgelegten, Emendationen geprüft und nach Möglichkeit einbezogen, so daß der Text in Einzelheiten von anderen gängigen Texten abweicht. Besonders im letzten und vorletzten Kapitel konnten dadurch Ergänzungen gebracht werden. An die Übersetzung und ihre Durchsicht sind rund fünf Jahre gewendet worden – der Sache gemäß mehr als an alle anderen Bände der Frankfurter Joyce-Ausgabe. Dem hohen Schwierigkeitsgrad des Buches glauben es allerdings Übersetzer und Herausgeber schuldig zu sein, weiter an der Übersetzung arbeiten zu sollen. Es ist denkbar, daß sie in einer späteren Auflage an einzelnen Stellen zu anderen Lösungsvorschlägen als den hier gemachten gekommen sein werden.« (James Joyce, Ulysses, Frankfurt am Main 1981, S. 1017).
** Immerhin schlug er Stephen Dedalus vor: »we might do semething fort he island. Hellenize it.« (ebd., S. 7), jenes Projekt, welches ja dann Joyce quasi mit Ulysses realisiert hatte. Außerdem distanzierte er sich von Stephens Rigorismus gegenüber seiner sterbenden Mutter, was Hans Köberlin als einen menschlichen Zug ansah. Allerdings sollte sich Mulligan später dann angesichts Leopold Blooms in die Reihe der Antisemiten einreihen.
*** Am Sonntag, dem 26. Juli 2015, sollten die Frau und Hans Köberlin von ihrer Unterkunft in Drumcondra aus mit der Buslinie 1 quer durch die Stadt nach Sandymount zu dem Martello Tower – man müßte eigentlich sagen: zu jenem Martello Tower, in dem Stephen Dedalus und Malachi Mulligan wohnten, denn ›Martello‹ war nicht der Name des Turms, sondern die Gattungsbezeichnung für alle derartigen Türme an der Küste, wie Hans Köberlin vor Ort lernen sollte – fahren. Es sollte während dieses Ausflugs in Strömen regnen, so daß die beiden, dort angekommen, den Turm, der häßlich in andere Gebäude verbaut worden war, einmal umrundeten und aus Ermangelung eines Pubs in der Nähe zurück in die Innenstadt fuhren. – Das Land, in dem James Joyce geboren war und das er zeitig verließ, sollte durch diese Reise mit der Frau, einer Reise, die die beiden in die Hauptstadt und eine benachbarte Halbinsel sowie an die südwestliche Küste führen sollte, für Hans Köberlin zu einem Sehnsuchtsort werden.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Freitag, 20. November 2015

Nach was es aussieht

»Sowohl als auch« als vernünftige und ausgewogene Möglichkeit einer Antwort

Wenn Sie bitte verzeihen wollen, daß ich eine vorherige Frage absichtlich grob formuliert habe, und wenn Sie bitte akzeptieren wollen, daß ich sie hier und jetzt so formuliere, daß vernünftige, ausgewogene Möglichkeiten in Ihrer Antwort ausgeschlossen werden, darf ich Sie jetzt noch einmal fragen, ob Sie, beim Geschlechtsverkehr, einen rammelnden Stil, ähnlich dem Flug der Fledermaus, bevorzugen oder einen subtilen Stil wie ein Wurm, der sich durch Schmutz frißt?

(Padgett Powell, Roman in Fragen, übersetzt von Harry Rowohlt, Berlin 2. Aufl. 2012, S. 53; die vorherige Frage, ebd., S. 36, lautete: »Ziehen sie beim Geschlechtsverkehr das Rammeln oder subtilere Bewegungen vor?« – die modifizierte Wiederholung dieser Frage motivierte das Zitat, sollten weitere Modifikationen dieser Frage folgen, werde ich sie hier zitieren – ansonsten gilt, wie gesagt, ungeachtet aller dysfunktionalen Metaphern: sowohl als auch).

Mittwoch, der 20. November 2013


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Wieder am Schreibtisch entschied sich Hans Köberlin für Morton Feldman, denn …
Live goes on very much like a piece by Morty Feldman.*
… begann zuvor jedoch mit einem seiner, Hans Köberlins, Lieblingsalben der obersten Kategorie, nämlich mit Fred Frith’ The Previous Evening, Musik komponiert für Tanztheater, Musik, mit der Frith dem Musikertrio aus der Stadt, die niemals schlief – John Cage, Morton Feldman und Earle Brown – in ihrer Manier, aber dabei typisch frithisch, ein Denkmal gesetzt hatte. »Let me say that I am as ever changing, while Feldman’s music seems more to continue than to change«, äußerte John Cage in seiner Lecture on Something,** und genau das war der Punkt, der Hans Köberlin faszinierte und der ihm die Musik für das Hören beim Schreiben so geeignet machte.
In Canettis Kafkaessay las er: »Er (Kafka) beweist sich damit (mit seinen detaillierten Beschreibungen in den Briefen an Felice Bauer) als Dichter im flaubertschen Sinn, für den nichts trivial ist, wenn es nur stimmt.« Das war auch Hans Köberlins Ideal, wobei er den Nachsatz auf die Form oder die Stimmigkeit innerhalb einer Stilentscheidung beziehen würde. Man mußte natürlich darauf achten, nicht der Gefahr zu erliegen, alles zu ästhetisieren. Nichts war zwar trivial und alles war zwar wert, beschrieben zu werden, aber nicht alles Beschriebene durfte auch Gnade unter den Augen des Beschreibenden finden. Was Hans Köberlin suchte, das waren Anlässe, die ihn zum Schreiben veranlaßten, und er wollte dazu kommen, daß ihn alles zum Schreiben veranlassen konnte, unabhängig von seinem eigenen jeweiligen Zustand. Später las er noch eine Passage, die er aus dem Kontext riß: »… daß er (Kafka) sich hier häufiger wiederholen durfte und damit einem wesentlichen Bedürfnis seiner Natur nachgeben kann (…) die Möglichkeit von Wiederholungen bis zur Litanei. Wenn jemand sich über die Notwendigkeit und die Funktion von Litaneien klar war, so war es Kafka.« Canettis Lesart war so stimmig, daß sie als seine Konstruktion aufschien, wie es immer so ist: man schreibt über sich und es paßt auf den Gegenstand … die glücklichen Momente … Kierkegaards Schrift Die Wiederholung hatte er, wie gesagt, neben anderen Schriften des Mannes aus dem Lande Hamlets und Lars von Triers, in seine Basisbibliothek aufgenommen …
Wie jeder weiß, trat Diogenes als Opponent auf, als die Eleaten die Bewegung leugneten. Er trat wirklich auf, denn er sagte nicht ein Wort, sondern ging nur ein paarmal hin und her, wodurch er jene ausreichend widerlegt zu haben glaubte. Als ich mich, zumindest gelegentlich, längere Zeit mit dem Problem beschäftigt hatte, ob eine Wiederholung möglich sei und welche Bedeutung diese habe, ob etwas durch Wiederholung gewinne oder verliere, fiel es mir plötzlich ein: Du kannst ja nach Berlin reisen, da bist du früher schon einmal gewesen, und nun überzeuge dich, ob eine Wiederholung möglich ist und was sie zu bedeuten hat. Bei mir zu Hause war ich mit diesem Problem nahezu ins Stocken geraten. Man sage darüber, was man will, es wird eine sehr wichtige Rolle in der neueren Philosophie spielen; denn Wiederholung ist der entscheidende Ausdruck für das, was bei den Griechen ›Erinnerung‹ war. So wie diese damals lehrten, daß alles Erkennen ein Erinnern ist, so will die neue Philosophie lehren, daß das ganze Leben eine Wiederholung ist. Der einzige neuere Philosoph, der hiervon eine Ahnung hatte, ist Leibniz. Wiederholung und Erinnerung sind dieselbe Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung. Denn was da erinnert wird, ist gewesen, wird nach rückwärts wiederholt, wohingegen die eigentliche Wiederholung nach vorwärts erinnert. Deshalb macht die Wiederholung, wenn sie möglich ist, einen Menschen glücklich, während die Erinnerung ihn un-glücklich macht, allerdings unter der Voraussetzung, daß er sich Zeit läßt zu leben und nicht sofort in seiner Geburtsstunde einen Vorwand sucht, sich wieder aus dem Leben herauszuschleichen, z. B. daß er etwas vergessen hat.
»Nach vorwärts erinnern …«: er konnte schon erstaunliche Gedanken niederschreiben, der Mann aus dem Lande Hamlets und Lars von Triers …
»Ich bin hier, um mir Zeit zu lassen zu leben.«


* John Cage, Lecture on Something; in: Silence. Lectures and writings by John Cage, Hanover / New England 1961, S. 131.
** Ebd., S. 128. Weiter hieß es dort: »There never was and there is not now in my mind any doubt about its beauty. It is, in fact, sometimes too beautiful. The flavor of that beauty, which formerly seemed to me to be heroic, strikes me now as erotic (an equal, by no means a lesser, flavor).« (ebd.). – Nun, als zu schön empfand Hans Köberlin die Musik nicht, sie war genau richtig schön, und das Erotische empfand er natürlich als ein weitaus höherrangiges Aroma denn das Heroische.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Donnerstag, 19. November 2015

Eine Definition von »Kunst«

Unter Kunst verstehen wir alles, was uns entzückt, ohne daß es uns gehört – eine hinterlassene Spur (…) das objektive Universum.

(Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares, hrsg. von Richard Zenith, Zürich 2003, S. 272; siehe auch Eine Definition von »Klassik«, Eine weitere Definition und Noch eine Definition).

Alpha 60

Ohne mich

Meine Seele, ein Gefährt mit fremden Insassen, soll anhalten, mich aussteigen lassen und ohne mich weiterfahren.

(Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares, hrsg. von Richard Zenith, Zürich 2003, S. 267).

Soll ich zu den bereits bestehenden noch die Kategorie »Utopie« einführen?

Unter uns: Ich suche auch so etwas. Keine Arbeit und doch bezahlte Tätigkeit.

(Martin Suter, Allmen und die Dahlien, Zürich 2013, S. 127).

Dienstag, der 19. November 2013


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… was ihn, Hans Köberlin, also da überkam, während das Meer rechterhand wild gegen die Felsen klatschte, das war wieder einmal die Empfindung einer Unwirklichkeit seines Seins hier.* Wirkliche gelassen aus sich kommende Gelassenheit war, wenn die Frau nicht da war, ein Ausnahmezustand hier, Ausnahmezustand wenn er nicht erkauft war durch exzessive passive und aktive Beschäftigung mit Literatur und dem intensiven Hören von Musik oder mit sanftem aber stetigem Konsum von Alkohol. Ansonsten: Rückzugsgefechte mit seiner Vergangenheit, emotionale Exaltiertheiten, irrationale, ja schier utopische Sehnsüchte (ein müßiges Leben mit der Frau hier in einem Modus wie in Mt 6.28 oder Lk 12.27 beschrieben) und – weil, wie Leibniz es treffend in seinen Nouveaux essais sur l’entendement humain formuliert hatte, die Gegenwart mit der Zukunft schwanger ging – Sorge ob der Zukunft, die ja nun plötzlich wieder da war und seinen Krafthorizont – Le Coucher du Soleil romantique – unwirksam machte …**


* Borges hatte über eine seiner Nebenfiguren geschrieben, er habe im Leben an Unwirklichkeit gelitten und sei als Toter nicht einmal das Gespenst, das er früher war, gewesen (vgl. Jorge Luis Borges, Fiktionen; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 5, Frankfurt am Main 1992, S. 18).
** Thomas Bernhard hatte in Der Atem. Eine Entscheidung geschrieben: »Zuerst hatte ich die Entscheidung treffen, dann die Erkenntnis anwenden und schließlich die Vernunft einsetzen müssen.« Die Reihenfolge ließ Hans Köberlin, nachdem er anläßlich einer anderen Recherche in seinem Arbeitsjournal unter dem Montag, dem 24. Dezember 2007, auf diese Anmerkung gestoßen, innehalten: die Vernunft kam erst am Ende zum Einsatz, die Entscheidung, weiter zu leben, war demnach keine rationale gewesen.
Worauf, hier bloß nebenbei bemerkt, Hans Köberlin beim Recherchieren in den Untiefen seines Arbeitsjournals noch stieß, das war auf eine Dokumentation seiner Reaktion auf die Reaktion zweier seiner Freunde auf seinen Roman: »Warum finden N*** und E*** meinen Anfang kompliziert? Ich referiere doch keine Systeme oder abstrakte Theorien. Ein Mann wichst in einen Fluß und denkt danach daran, was mit dem biblischen Wichser so los war … das ist doch nicht kompliziert! Oder davor die Gedanken zum Ursprung von allem, kein Einstein, kein Lucrez et cetera, bloß plattes Gerede.«

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Mittwoch, 18. November 2015

Aus dem Kontext gerissen

… denn sein Leben ist die Summe repellierender Momente, die keinerlei Zusammenhang haben, sein Leben ist als der Moment die Summe von Momenten, als die Summe von Momenten der Moment.

(Sören Kierkegaard, Entweder – Oder, München 1988, Teil I, S. 117).

Montag, der 18. November 2013


[48 / 276]
Dann war er auch schon da, der Morgen des Montags, des 18. Novembers 2013,* an dem die Frau wieder in die Hauptstadt zurückreisen mußte. Hans Köberlin hatte geträumt, einer aus dem Ort seiner Herkunft, der älter war als Hans Köberlin und der sich stets nur durch seine Niedertracht und durch Gemeinheit und Brutalität hervorgetan, hatte einen Zug überfallen, so einen, wie sie die kleinen privaten Provinzbahnen einsetzten. Aber irgendwie lief bei dem Überfall etwas schief, und Hans Köberlin war die Ursache davon, entweder er hatte das Geld versteckt oder es sich bereits selber unter den Nagel gerissen. Außerdem hatte er der Polizei den Namen des Täters verraten und ihn damit der gezielten Fahndung ausgesetzt. Nun fürchtete er dessen Rache und sprach lange mit dem alten Kommissar, der aufrichtig bemüht war, ihm Schutz zu gewähren, und dann sprach er mit dessen Assistenten, der eher ein Windhund war, und Hans Köberlin fragte sich, ob der nicht mit den Gangstern kooperiere oder gar selbst der Obergangster war. Dort, wo sie sich unterhielten, war eine Eisbahn, die Eisfläche allerdings im Zustand des Auftauens. Ein Briefträger machte sich dieses Auftauen zunutze und passierte, um den Weg abzukürzen die Eisfläche diagonal, anstatt um sie herum zu gehen. Dann war Krieg und der Busenfreund mußte an die Front. Hans Köberlin hoffte, man würde ihn doch noch für untauglich erklären, bei ihrer beiden Lebensstil konnte das durchaus passieren.


* Es gab bloß ein archiviertes Filmstill von dem Filmkalender aus dem Jahr 1997, das Marie Colbin in Karambolage (Kitti Kino, 1982) zeigte, wie sie mit dem Queue auf die weiße Kugel zielte. Hans Köberlin kannte weder den Film noch die Regisseurin noch die abgebildete Frau, aber deren Gesicht reichte, das Kalenderblatt zu archivieren.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VII [Der erste Besuch der Frau], 15. bis 18. November 2013).

Dienstag, 17. November 2015

Zwei Beiträge zur Geschichte der Einbildungskraft

Im Atelier im ersten Stock sucht das junge Paar Bergerat einen Platz für sein Bett und befragt dafür die einen und die anderen. Für die junge Ehefrau erröte ich [Edmond de Goncourt] unwillkürlich ein wenig über die öffentliche Zurschaustellung dieses Möbels, auf das die Einbildungskraft der Besucher sie schon in ehelicher Pose hinbreitet. Das englische Tabu des Schlafzimmers einer verheirateten Frau finde ich sehr taktvoll.

(Edmond & Jules de Goncourt, Journal. Erinnerungen aus dem literarischen Leben, Eintrag vom Sonntag, dem 12. Mai 1872, Leipzig 2013, Bd. 5, S. 560).

*

Mir [François Truffaut] fällt da noch eine andere Szene am Anfang ein, nachdem Stewart Kim Novak [in Vertigo, 1958] aus dem Wasser gefischt hat. Sie ist in Stewarts Wohnung, nackt in seinem Bett. Man sieht, wie sie zu sich kommt, und man kann folgern, ohne daß darüber gesprochen würde, daß er sie ausgezogen haben muß, daß er sie nackt gesehen hat.

(François Truffaut in Zusammenarbeit mit Helen G. Scott, Truffaut / Hitchcock, München / Zürich 1999, S. 209).

Sonntag, der 17. November 2013


[47 / 277]
Am Sonntag, dem 17. November 2013,* war das Wetter immerhin so, daß man mit einer Jacke auf der anderen Dachterrasse frühstücken konnte. Anschließend legten sie sich zum Aufwärmen et cetera nochmals hin.
Am frühen Nachmittag dann gingen beide an den Strand mit der festen Absicht, zu ihrem anstehenden Abschied noch einmal im Meer, das sich ziemlich bewegt gab zu schwimmen. Dekadent wie sie waren, reichte ihnen die Wassertemperatur allerdings nur für ein paar Züge in den heftigen Wellen, das war nicht dieses von Hans Köberlin gemeinte und geliebte bisherige entspannte Schwimmen, das mutwillig terminiert werden mußte, weil man es von selber nicht mehr aufhören wollte, die Bewegung im Wasser quasi als Lebenswelt, und wenn nicht dies, dann zumindest als Modus der adäquaten Reflektion seines Zustandes hier … Hans Köberlin war erstaunt, wieviel kühler es doch während seiner zweitägigen Schwimmpause geworden war. Dieses kurze sich noch einmal in die Wellen stürzen sollte, wie bereits angedeutet, Hans Köberlins vorerst letztes Schwimmen hier sein, bis er am Montag, dem 28. April 2014, während eines morgendlichen Dauerlaufs seine zweite und wahrscheinlich letzte Badesaison in dem Ort seines Exils eröffnen würde.


* Daß sich der geile alte Sack Sophie Marceaus Bild mit dem leicht geöffneten Mund aus La fidélité (Andrzej Zulawski, 2000) aufgehoben (sie war damals 34, und hätte sie nicht den Pullover an, das Bild hinge in Hans Köberlins Schlafzimmer), war zu erwarten gewesen.
Erinnern konnte sich Hans Köberlin an zwei Träume: im ersten war er an der Mosel bei seinen Eltern und mußte irgendwelche (nicht wirkliche) Hausaufgaben machen. Er hatte das kleinere Laptop dabei, ihm fehlten aber ein Druckerkabel und ein Drucker und er wühlte deswegen in den ausrangierten Computersachen seiner Mutter (die nie in ihrem Leben einen Computer auch nur angefaßt hatte). Dann – und dies könnte man als Wunscherfüllungstraum bezeichnen – war er bei einer Theaterproduktion, bei der Lars von Trier Regie führte, einer von denen, die Hintergrundinformationen besorgen sollten. Es war ein größeres Projekt, die Aufführung stand erst in zwei Jahren an. In einem ruhigen Moment sagte Hans Köberlin zu Lars von Trier, daß er ein großer Bewunderer seiner Kunst wäre, worüber der sich sehr freute und weswegen er Hans Köberlin etwas in eines seiner, Hans Köberlins, Bücher (gemeint war wohl ein Band der 24-bändigen Limbularius-Ausgabe), die er dabei hatte, schreiben wollte. Hans Köberlin drückte daraufhin sein Bedauern darüber aus, daß er kein Buch von ihm, von Lars von Trier, zum Signieren dabei hatte.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VII [Der erste Besuch der Frau], 15. bis 18. November 2013).

Montag, 16. November 2015

Noch eine Definition

Überdruß ist ein Mangel an Mythologie (…) ist der Verlust der seelischen Fähigkeit, sich Illusionen zu machen …

(Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares, hrsg. von Richard Zenith, Zürich 2003, S. 267; siehe auch Eine Definition von »Klassik« und Eine weitere Definition).

Samstag, der 16. November 2013


[46 / 278]
Es war ein angenehmes Erwachen für Hans Köberlin, am Samstag, dem 16. November 2013,* neben der noch tiefschlafenden und also noch schlafwarmen Frau. Er hatte geträumt, er sei an einem Strand (es war aber keiner der Strände hier), wo fieberhaft Betonarbeiten ausgeführt wurden, was da allerdings errichtet werden sollte, das wußte er nicht. Ein populärer und dennoch avancierter Philosoph war gleichfalls anwesend und Hans Köberlin versuchte, dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Dann wurde er wach und die Sorge kam, wie es ab und an vorkam – aber warum gerade jetzt, jetzt da die Frau bei ihm lag?! –, zu ihm und ließ ihn eine Weile nicht wieder einschlafen. Die Frau wurde halbwach und sagte ihm im Halbschlaf, es sei alles gut, sie sei doch bei ihm. Eine vor Jahrzehnten gelesene Phrase fiel Hans Köberlin ein, er wußte nicht warum jetzt, von Hans Mayer, glaubte er …: »Ehrfurcht vor dem leeren Wortzeichen.«** Er konnte schließlich wieder einschlafen und den Traum fortsetzen, beziehungsweise ein anderes Traumszenario anschließen. Er war nun auf einem literarischen Wettbewerb, aber nur als ein zufällig hineingeratener Zuschauer. Er wollte eigentlich zu dem Strand aus dem vorherigen Traum, aber es ging mit seiner Fortbewegung nicht voran. Schließlich sprang er von einem Brett oder von einer hohen Mauer ins Meer, das in diesem Traum nicht bloß ein gerne besuchtes, sondern sein eigentliches Element war, er wußte das, ohne daß sich diese Empfindung in irgendwelchen Traumbildern visualisiert hätte.


* Wir fischten aus Hans Köberlins Filmkalenderblattsammelkiste ein Bild mit dem melancholisch über seinem Piano dreinblickenden Charles Aznavour aus Truffauts Tirez sur le pianiste (1960), dessen Produzent Pierre Braunberger an diesem Tag vor dreizehn Jahren verstorben war. Vom Leben gebeutelte Männer, die noch einmal die Chance einer großen Liebe bekamen …: eindeutig Hans Köberlins Plot.
** Herman Meyer, Der Sonderling in der deutschen Dichtung, Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1984, S. 74; Hans Köberlin hatte ihn hier mit Hans Mayer verwechselt, dessen Buch Der Außenseiter hieß. Die von Hans Köberlin erinnerte Wendung bezog sich auf Jean Pauls Leben des Quintus Fixlein, aus fünfzehn Zettelkästen gezogen.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VII [Der erste Besuch der Frau], 15. bis 18. November 2013).

Samstag, der 16. November 2013


[46 / 278]
Es war ein angenehmes Erwachen für Hans Köberlin, am Samstag, dem 16. November 2013,* neben der noch tiefschlafenden und also noch schlafwarmen Frau. Er hatte geträumt, er sei an einem Strand (es war aber keiner der Strände hier), wo fieberhaft Betonarbeiten ausgeführt wurden, was da allerdings errichtet werden sollte, das wußte er nicht. Ein populärer und dennoch avancierter Philosoph war gleichfalls anwesend und Hans Köberlin versuchte, dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Dann wurde er wach und die Sorge kam, wie es ab und an vorkam – aber warum gerade jetzt, jetzt da die Frau bei ihm lag?! –, zu ihm und ließ ihn eine Weile nicht wieder einschlafen. Die Frau wurde halbwach und sagte ihm im Halbschlaf, es sei alles gut, sie sei doch bei ihm. Eine vor Jahrzehnten gelesene Phrase fiel Hans Köberlin ein, er wußte nicht warum jetzt, von Hans Mayer, glaubte er …: »Ehrfurcht vor dem leeren Wortzeichen.«** Er konnte schließlich wieder einschlafen und den Traum fortsetzen, beziehungsweise ein anderes Traumszenario anschließen. Er war nun auf einem literarischen Wettbewerb, aber nur als ein zufällig hineingeratener Zuschauer. Er wollte eigentlich zu dem Strand aus dem vorherigen Traum, aber es ging mit seiner Fortbewegung nicht voran. Schließlich sprang er von einem Brett oder von einer hohen Mauer ins Meer, das in diesem Traum nicht bloß ein gerne besuchtes, sondern sein eigentliches Element war, er wußte das, ohne daß sich diese Empfindung in irgendwelchen Traumbildern visualisiert hätte.


* Wir fischten aus Hans Köberlins Filmkalenderblattsammelkiste ein Bild mit dem melancholisch über seinem Piano dreinblickenden Charles Aznavour aus Truffauts Tirez sur le pianiste (1960), dessen Produzent Pierre Braunberger an diesem Tag vor dreizehn Jahren verstorben war. Vom Leben gebeutelte Männer, die noch einmal die Chance einer großen Liebe bekamen …: eindeutig Hans Köberlins Plot.
** Herman Meyer, Der Sonderling in der deutschen Dichtung, Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1984, S. 74; Hans Köberlin hatte ihn hier mit Hans Mayer verwechselt, dessen Buch Der Außenseiter hieß. Die von Hans Köberlin erinnerte Wendung bezog sich auf Jean Pauls Leben des Quintus Fixlein, aus fünfzehn Zettelkästen gezogen.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VII [Der erste Besuch der Frau], 15. bis 18. November 2013).

Sonntag, 15. November 2015

In dieser großen Zeit

In dieser großen Zeit

die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder klein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt; und die wir, weil im Bereich organischen Wachstums derlei Verwandlung nicht möglich ist, lieber als eine dicke Zeit und wahrlich auch schwere Zeit ansprechen wollen; in dieser Zeit, in der eben das geschieht, was man sich nicht vorstellen konnte, und in der geschehen muß, was man sich nicht mehr vorstellen kann, und könnte man es, es geschähe nicht –; in dieser ernsten Zeit, die sich zu Tode gelacht hat vor der Möglichkeit, daß sie ernst werden könnte; von ihrer Tragik überrascht, nach Zerstreuung langt, und sich selbst auf frischer Tat ertappend, nach Worten sucht; in dieser lauten Zeit, die da dröhnt von der schauerlichen Symphonie der Taten, die Berichte hervorbringen, und der Berichte, welche Taten verschulden: in dieser da mögen Sie von mir kein eigenes Wort erwarten. Keines außer diesem, das eben noch Schweigen vor Mißdeutung bewahrt. Zu tief sitzt mir die Ehrfucht vor der Unabänderlichkeit, Subordination der Sprache vor dem Unglück. In den Reichen der Phantasiearmut, wo der Mensch an seelischer Hungersnot stirbt, ohne den seelischen Hunger zu spüren, wo Federn in Blut tauchen und Schwerter in Tinte, muß das, was nicht gedacht wird, getan werden, aber ist das, was nur gedacht wird, unaussprechlich. Erwarten Sie von mir kein eigenes Wort. Weder vermöchte ich ein neues zu sagen; denn im Zimmer, wo einer schreibt, ist der Lärm so groß, und ob er von Tieren kommt, von Kindern oder nur von Mörsern, man soll es jetzt nicht entscheiden. Wer Taten zuspricht, schändet Wort und Tat und ist zweimal verächtlich. Der Beruf dazu ist nicht ausgestorben. Die jetzt nichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechen weiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!

(Karl Kraus, Die Fackel, 5. Dezember 1914, Nr. 404, 16. Jg., S. 1f.).

Freitag, der 15. November 2013


[45 / 279]
Dann duschte Hans Köberlin ausgiebig und rasierte sich wie Buck Mulligan* und nahm etwas mehr eau de toilette als üblich, zog sich dem sehr warmen Nachmittag und dem zu erwartenden kühleren Abend entsprechend an und machte sich, den kleineren Laptop, Bücher und eine Flasche Wasser im Rucksack, nicht wie zuvor eingeübt durch das Hinterland, sondern, weil er noch viel Zeit hatte,** über die Strandpromenaden der Playa La Fossa-Levante und der Playa Arenal-Bol und dann die Haupteinkaufsstraße hoch und dann rechts flanierend auf den Weg zu dem Omnibusbahnhof. Und als Hans Köberlin beruhigt nach dem erfolgreichen Erwerb eines Tickets und der Bestätigung, daß das weltweite Netz und das Anzeigenblättchen die richtige Zeit der Abfahrt des Omnibusses genannt, dort wartend saß, begann er damit, quasi als Nachlese zu den Forschungen eines Hundes, Elias Canettis Essay Der andere Prozeß. Kafkas Briefe an Felice zu lesen, und wie immer, wenn Hans Köberlin Canetti las, stieß er gleich auf eine Passage, die er exzerpieren mußte. Er packte also sein Laptop aus und exzerpierte …
Für das Entsetzen des Lebens, dessen sich die meisten zum Glück nur manchmal, einige wenige aber, von inneren Mächten als Zeugen eingesetzt, immer bewußt sind, gibt es nur einen Trost: seine Einbeziehung in das Entsetzen vorangegangener Zeugen.
»… von inneren Mächten als Zeugen eingesetzt …«: Hans Köberlin fragte sich natürlich, was das für Mächte sein sollten … vielleicht die, die das Leben sein Leben spüren ließen (das ging wohl in Richtung einer ontischen Verzweiflung) … Bei Hans Köberlin galt das – die »Einbeziehung vorangegangener Zeugen« – allerdings für das Leben generell und nicht bloß für dessen Entsetzen, für das Leben und für seine eigenen Introspektionen: es beruhigte ihn (nicht immer brauchte man gleich Trost,*** manchmal auch bloß, wie Canetti wußte, Beruhigung, und Bändigung**** und manchmal auch bloß, wie Hans Köberlin wußte, ein Fläschchen Rotwein), Zeugen vergangenen Lebens und Akteure vergangener Introspektionen miteinzubeziehen. Und nicht zuletzt darum führen auch wir hier alle die uns und Hans Köberlin entsprechenden Zeugen vergangener Leben und alle dementsprechenden Akteure vergangener Introspektionen, denen wir habhaft werden, in unseren Einschüben und in unseren Fußnoten an. Seinesgleichen kommen zusammen, The Usual Suspects (Bryan Singer, 1995) …


* »He shaved evenly and with care, in silence, seriously.« (James Joyce, Ulysses, with an Introduction by Cedric Watts, London 2010, S. 5).
** Vielleicht war das eine Methode …: so zu früh sein, daß man langsam sein konnte … Borges hatte in einem Essay über die Karren seines Viertels geschrieben, der langsame Karren werde dauernd überholt, aber gerade dieses Zurückbleiben werde ihm zu Sieg, als wäre die Eile der anderen das furchtsame Hasten von Sklaven, die eigene Weile dagegen vollkommener Besitz der Zeit, beinahe der Ewigkeit, und dieser Besitz der Zeit sei das unendliche Kapital des criollo, die Weile könne man zur Unbeweglichkeit erhöhen, zum Besitz des Raums (vgl. Jorge Luis Borges, Evaristo Carriego; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 2: Kabbala und Tango, Frankfurt am Main 1993, S. 86). Freilich würde Hans Köberlin gleich auf dem Aeropuerto vor dem Ausgang der Gelandeten in Erwartung der Frau stehend den Besitz der Weile nicht zu schätzen wissen.
*** Am 18. Februar 1920 schrieb Kafka in sein Tagebuch: »Er will keinen Trost, aber nicht deshalb weil er ihn nicht will – wer wollte ihn nicht – sondern weil Trost suchen heißt: dieser Arbeit sein Leben widmen, am Rande seiner Existenz, fast außerhalb ihrer immer zu leben, kaum mehr zu wissen, für wen man Trost sucht und daher nicht einmal imstande zu sein, wirksamen Trost zu finden (wirksamen, nicht etwa wahren, den es nicht gibt).« So, dachte sich Hans Köberlin, so war es vielleicht auch Lysa ergangen, die der Suche nach Heilung ihr Leben gewidmet hatte und darüber chronisch krank geworden war.
Und auch in dem unseres Wissens letzten erhaltenen Tagebucheintrag Kafkas, dem vom 12. Juni 1923, ging es um Trost, aber diesmal um seine Möglichkeit: »Immer ängstlicher im Niederschreiben. Es ist begreiflich. Jedes Wort, gewendet in der Hand der Geister – dieser Schwung der Hand ist ihre charakteristische Bewegung – wird zum Spieß, gekehrt gegen den Sprecher. Eine Bemerkung wie diese ganz besonders. Und so ins Unendliche. Der Trost wäre nur: es geschieht ob Du willst oder nicht. Und was Du willst, hilft nur unmerklich wenig. Mehr als Trost ist: Auch Du hast Waffen.«
**** »Es ist kaum zu glauben, wie der geschriebene Satz den Menschen beruhigt und bändigt.« (Elias Canetti, Dialog mit einem grausamen Partner; in: Das Gewissen der Worte. Essays, Frankfurt am Main 1981, S. 54, vgl. auch vom Verf. Telos oder Beiträge zu einer Mythologie des Clemens Limbularius. Fragment, Berlin 2013, S. 152 und dort die Fußnote 466).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VII [Der erste Besuch der Frau], 15. bis 18. November 2013).

Samstag, 14. November 2015

pro domo

Bei einem meiner beiden Laptops klemmen manchmal Tasten, vor allem die i-Taste, was vielleicht den ein oder anderen Lapsus oder die eine oder andere Irritation (wo ›leben‹ war hätte ›lieben‹ sein sollen) erklärt.

… dann habe auch ich eine russische Seele …

Während eines Diners am Samstag, dem 2. März 1872 bei Flaubert, an dem außer dem Gastgeber noch Edmond de Goncourt, Théophile Gautier und Iwan Turgenjew teilgenommen, kam es, nachdem Turgenjew erklärt hatte, das einsetzende Unvermögen zu lieben käme dem Tod gleich, zu folgender Szene …

Et comme, Flaubert et moi, contestons pour des lettrés, l’importance de l’amour, le romancier russe s’écrie, dans un geste qui laisse tomber ses bras à terre: »Moi, ma vie est saturée de féminilité. Il n’y a ni livre, ni quoi que ce soit au monde, qui ait pu me tenir lieu et place de la femme … Comment exprimer cela? Je trouve qu’il n'y a que l’amour qui produise un certain épanouissement de l’être, que rien ne donne, hein? … Tenez, j’ai eu, tout jeune homme, une maîtresse, une meunière des environs de Saint-Pétersbourg, que je voyais dans mes chasses. Elle était charmante, toute blanche, avec un trait dans l’œil, ce qui est assez commun chez nous. Elle ne voulait rien accepter de moi. Cependant, un jour, elle me dit: ›Il faut que vous me fassiez un cadeau.‹ – ›Qu’est-ce que vous voulez?‹ – ›Rapportez-moi de Saint-Pétersbourg un savon parfumé.‹ Je lui apporte le savon. Elle le prend, disparaît, revient les joues roses d’émotion, et murmure, en me tendant ses mains, gentiment odorantes: ›Embrassez-moi les mains, comme vous embrassez, dans les salons, les mains des dames de Saint-Pétersbourg.‹ Je me jetai à ses ge-noux … et vous savez, il n’y a pas un instant dans ma vie qui vaille celui-là.«

(aus dem Journal der Gebrüder de Goncourt, Eintrag vom 2. März 1872).

Donnerstag, der 14. November 2013


[44 / 280]
Später kommunizierte er noch medial mit der Frau und anschließend wegen Telos mit dem Verleger.
Von Stockhausen hörte Hans Köberlin …
  • Montag aus Licht und
  • den Anfang von Freitag aus Licht.
Und morgen würde die Frau kommen … wie hatte es noch geheißen, damals, als Penelope und Odysseus nach zwanzig Jahren der Trennung – was waren dagegen schon die 33 (waren es 33 gewesen?) Nächte …
»Allein ohne die Frau eine verdammt lange Zeit, die allerdings, allein und ohne Leid und Fron, viel zu schnell vergangen ist.«*
– also nach zwanzig Jahren der Trennung erstmals wieder gemeinsam in das unverrückbare Ehebett gestiegen …
Und sie legten sich schlafen umher im dunklen Palaste.
Jene, nachdem sie die Fülle der seligen Liebe gekostet,
Wachten noch lang, ihr Herz mit vielen Gesprächen erfreuend.
… »die Fülle der seligen Liebe gekostet« …: morgen nacht … morgen …: nackt!


* Loriot hatte einmal gesagt: »Ich glaube, daß man im Lauf der Jahrzehnte das Gefühl bekommt, man hätte keine Zeit. Und dieses Gefühl wird jeder irgendwann haben, obwohl … Eine Weile hat man wirklich keine Zeit, und dann hat man sich so daran gewöhnt, keine Zeit zu haben, daß man, wenn man dann Zeit hat, es nicht mehr merkt.«

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VI [Phase II – oder: post Telos], 3. bis 14. November 2013).

Freitag, 13. November 2015

Und ob!

Erinnern Sie sich noch an diese ganz speziellen Strumpfbandknöpfe vor der Erfindung der Strumpfhose?

(Padgett Powell, Roman in Fragen, übersetzt von Harry Rowohlt, Berlin 2. Aufl. 2012, S. 11).

Eine weitere Definition

Ein Mythos ist die Beschreibung eines tatsächlichen Ereignisses aus der Perspektive eines Dummkopfs, literarisch bearbeitet von einem Dichter.

(Arkadi & Boris Strugatzki, Das Expriment; in: Werkausgabe, hrsg. von Sascha Mamczak und Erik Simon, München 2010, Bd. 2, S. 844).

Mittwoch, der 13. November 2013


[43 / 281]
Am Mittwoch, dem 13. November 2013, war auf Hans Köberlins Filmabreißkalender anläßlich Jean Sebergs 75. Geburtstag eine Szene aus À bout de souffle (1960) zu sehen. Über diesen Film gab es – wie oben zu Nouvelle vague (1990) – eigentlich ein paar Worte zu sagen … aber über diesen Film, der erste lange Film von Godard, nach einem Drehbuch von Truffaut, ist bereits so viel gesagt worden … Er bedeutete für das Kino, was 1789 für Europa bedeutet … Damit hatte alles angefangen (im Großen), oft kopiert und nie erreicht, vielbesprochen und mythisiert. Nach dem vor kurzem Durchlebten und nur geradeso Überlebten fand nun auch Hans Köberlin Patricia »vraiment dégueulasse«, ihr kokettes Getue und ihre neurotische Egozentrik.* Michel erzählte Patricia die Geschichte über den Verrat, die er in der Zeitung gelesen hatte, als ahnte er, was ihn von der Frau erwartete … Eine der schönsten Stellen des Films war die Pressekonferenz mit Melville als Parvulesco, bei der Hans Köberlin stets zu der Einsicht kam, daß er nie – was die Weltgewandtheit betraf – so einen heroischen Autor abgegeben hatte. Godard meinte einmal in einem Interview, man würde an seine Jugend denken müssen, wenn man das wiedersähe, er wäre damals allerdings schon dreißig gewesen, ein spätes Debüt … Und Hans Köberlin war es, als schaute er auf eine untergegangene, vielleicht noch offener gewesene Welt. Und Truffaut hatte überliefert, Godard sei damals sehr unglücklich gewesen, Godard räumte ein, nur vorgegeben zu haben es zu sein, denn jeder habe so seine Fehler. Was Hans Köberlin immer wieder bei Filmen Godard auffiel, das waren die gezielten Asozialitäten der Protagonisten. Hier zum Beispiel: die Freundin, die Michel Poiccard um fünftausend Francs anpumpen wollte, meinte zu ihm, sie habe bloß fünfhundert Francs, die sie ihm geben könne. Er lehnte es ab, sie zu nehmen, um sie ihr dann aber zu stehlen. Und es war natürlich immer wieder schön, das Paris jener Zeit (einer vielleicht nicht unbedingt besseren, aber einer, wie gesagt, vermutlich noch offeneren Zeit) in Schwarzweiß zu sehen.


* Borges hatte in La Invención de Morel geschrieben, die Russen und die Schüler der Russen (Hans Köberlin vermutete hier vor allem die Skandinavier) hätten einem bis zum Überdruß vorgeführt, daß nichts unmöglich sei: Selbstmorde aus Übermaß an Glück, Morde aus Nächstenliebe, Personen, die sich so liebten, daß sie sich für immer trennten, Verräter aus Liebe oder Demut …
Und Seeßlen: »Die Ganzheit der weiblichen Seele, wie sie der Film zu entdecken begann, wurde zu einem Rätsel, wie es etwa die Frauengestalten in Jean-Luc Godards Arbeiten (zum Beispiel Jean Seberg in À bout de souffle, oder Anna Karina in seinen folgenden Filmen) verkörperten, eine Entität, die sich, weil nicht in ihre Bestandteile zerlegbar, auch nicht erklären und nicht berechnen läßt und deshalb zu einer Herausforderung wird. Während die Männer in seinen Filmen aus Mustern und Zitaten des Films, der Literatur, der Geschichte zusammengesetzt sind, Ergebnisse vielschichtiger Anpassungs- und Formungsprozesse, sind die Frauen Wesen von einer eigenen Qualität, die sich deshalb auch nicht so anpassen (oder absetzen) können wie die Männer. Die Kind-Frau erhält in Godards Filmen eine gleichsam philosophische Dimension; sie ist ein Motiv für die Bewegung seiner Helden, aber sie bleibt undefinierbar (…) Die Formen in ihrer Kulturlandschaft, in der sie sich wie ein Kind bewegt, werden ihr zum Spielzeug; sie ist freier von den Bindungen an das Milieu als die Männer, und auch Sexualität scheint ihr ein Spiel zu sein. Sie ist, vor allem, ohne Ziel. ›Eine der ersten und bedeutendsten dieser enigmatischen Heidinnen war Jean Seberg in Godards À bout de souffle. Godard seinerseits war beeinflußt von ihrer Darstellung der Cecile in Otto Premingers Verfilmung des Sagan-Romans Bonjour Tristesse (1958). In À bout de souffle ist Seberg der perfekte Ausdruck und Spiegel von Godards ambivalenter Haltung gegenüber Frauen, eine Mischung aus Idealisierung und Misogynie, so intensiv wie bei Charlie Chaplin. Am Ende von Bonjour Tristesse sitzt Jean Seberg, die den Tod der Frau verursacht hat, die ihr Vater liebte, vor einem Spiegel und schaut ausdruckslos auf ihr Bild; sie sieht nichts, sie fühlt nichts. Am Ende von À bout de souffle steht sie neben ihrem sterbenden Geliebten, dem Gangster, den sie an die Polizei verraten hat; sie schaut in den Himmel; sie sieht nichts, sie fühlt nichts. Was das Sexuelle anbelangt, so ist sie eine Hure, aber was die Emotionen betrifft, ist sie eine Jungfrau. Irgend etwas fehlt: das Bewußtsein, eine Seele? Wie die von Anna Karina porträtierte Frau in Le petit soldat (1963) und Bande à part (1964) reizt sie den Helden mit ihrer anscheinenden Ganzheit; sie tut dies ganz naiv und führt ihn in den Untergang. Ihre Seele ist eine tabula rasa mit einer glatten Oberfläche. Nichts bleibt an ihr haften. Sie ist nicht einmal böswillig. Ihre Grausamkeit liegt in ihrer Indifferenz‹ (Molly Haskell).« (Georg Seeßlen, Erotik. Ästhetik des erotischen Films, Marburg 3. Auflage 1996, S. 99f.). – Nun, nach dem vor kurzem Durchlebten und nur geradeso Überlebten konnte Hans Köberlin auch dem in gewissem Maße zustimmen.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VI [Phase II – oder: post Telos], 3. bis 14. November 2013).

Donnerstag, 12. November 2015

Spontanrelektüre


Empirie, 2. Update

¡Hans Koberlin vive! in Daten (der Stand von heute):

  • Stand des Manuskripts: S. 866 von ca. 1.800 Seiten
  • Stand der Überarbeitung:
    • Seiten: S. 766 von ca. 1.800 Seiten
    • Kapitel: XII (= Phase V – oder: Un gringo en Calpe) von XXIV Kapiteln nebst einem Anhang
    • Tag der Überarbeitung: Dienstag, der 18. Februar 2014, der 140. von 324 konkreten und von allen möglichen Tagen
  • Fußnoten Stand des Manuskripts: 2427
  • Fußnoten am Stand der Überarbeitung: 2094
  • Beginn der Handlung: 23. Oktober 4004 vor unserer Zeitrechnung, 9 Uhr vormittags*
  • Ende der Handlung: fällt mit dem Ende der (oder bloß einer?) Welt zusammen
  • Beginn der Niederschrift: Mittwoch, den 2. Oktober 2013
  • Ende der Niederschrift: noch nicht abzusehen


* (= die momentane Fußnote 312 auf S. 65) Wir haben für unseren Prolog den Zeitraum von Anbeginn der Schöpfung bis zum Dienstag, dem 1. Oktober 2013 veranschlagt. – Nun: »In der Schiffsbibel von Charles Darwin auf der ›Beagle‹, mit der er von 1831 bis 1836 die Welt bereiste, stand das Datum der Weltschöpfung eingetragen: 23. Oktober 4004 vor Christi Geburt, 9 Uhr vormittags.« (Hans Blumenberg, Die Sorge geht über den Fluß, Frankfurt am Main 1987, S. 47).

Wird aktualisiert!

Spiritualität vs. Esprit

An diesen Meistern und Kennern des Unsichtbaren erstaunt mich vor allem, daß sie, greifen sie zur Feder, um uns ihre Geheimisse mitzuteilen oder zu vermitteln, allesamt schlecht schreiben. Ich will nicht so recht verstehen, daß ein Mensch den Teufel beherrschen kann, nicht aber die portugiesische Sprache. Warum sollte der Umgang mit dem Dämon leichter sein als der Umgang mit der Grammatik? Wer durch eine lange Schulung seiner Aufmerksamkeit und seiner Willenskraft, wie er sagt, Astralvisionen haben kann, wie kann ein solcher Mensch nicht mit wesentlich weniger Aufwand syntaktische Visionen haben? Was an Dogma und Ritual der hohen Magie hindert jemanden zu schreiben, ich sage nicht einmal klar zu schreiben, da Unklarheit vielleicht zum Gesetz des Okkulten gehört, doch zumindest elegant und fließend, was im Bereich des Abstrusen durchaus möglich ist. Warum die gesamte seelische Energie auf das Studium der Sprache der Götter verschwenden und nicht ein Quentchen aufsparen, mit dem man Farbe und Rhythmus der menschlichen Sprache studieren kann?
Ich mißtraue den Meistern, die sich nicht einmal auf die einfachsten Dinge verstehen. Sie sind für mich wie jene befremdlichen Dichter, die außerstande sind, wie jedermann zu schreiben. Ich gestehe ihnen ihre Befremdlichkeit zu; doch wäre es mir lieb, sie könnten mir beweisen, daß sie befremdlich sind, weil den normalen Menschen überlegen und nicht etwa unterlegen sind.
Es heißt, schon so mancher große Mathematiker habe sich beim Zusammenzählen geirrt; doch hier geht es nicht um Irrtum, sondern um Unkenntnis. Hält ein großer Mathematiker zwei und zwei für fünf, ist das ein Zeichen von Zerstreutheit, wie wir sie alle kennen. Was aber Zusammenzählen ist, oder wie man zusammenzählt, muß er wissen. Und das genau ist bei den Meistern des Okkulten in übergroßer Mehrzahl der Fall.

(Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares, hrsg. von Richard Zenith, Zürich 2003, S. 258).

Dienstag, der 12. November 2013


[42 / 282]
»Ich war im Traum auf einem riesigen Kreuzfahrtschiff, war aber irgendwie bei der Mannschaft in den unteren Chargen untergebracht, ich vermutete das, weil ständig per Lautsprecher Anweisungen des Kapitäns kamen und es ein ständiges Gehetze war. Wir waren noch nicht auf dem Meer sondern noch auf Flüssen und Kanälen auf dem Weg dorthin, auf Wasserwegen, die manchmal ziemlich eng wurden. Als an einer Schleuse ein Frachtschiff vorbeikam, desertierte einer der Matrosen: er sprang über Bord und schwamm dorthin, ein Trottel war er, weil nun kam er vom Regen in die noch schlimmere Traufe, denn auf den Frachtschiffen fehlten immer die Leute und man wurde noch mehr gehetzt. Das Kreuzfahrtschiff mußte des öfteren durch Tunnels fahren. In denen waren oben wie eine Galerie Geleise an den Wänden angebracht, auf denen wie in einer Geisterbahn kleine Loren fuhren, von denen aus man das Schiff von oben betrachten konnte, während man es umkreiste, man mußte dabei bloß aufpassen, daß man im Rauch der Schornsteine nicht erstickte. Ich fuhr mit der Frau in einer solchen Lore, es war schön und ein wenig gefährlich aufregend, wie das Fahren in der Domstadt mit der Seilbahn in der winzigen gläsernen Kabine hoch über dem Rhein. Als das Schiff wieder aus dem Tunnel herausfuhr, stand ich oben am Rand der Tunnelausfahrt und wartete darauf, wieder aufspringen zu können, wobei ich aufpassen mußte, nicht in das Wasser zu fallen, das einige hundert Meter unter mir war. Der gigantische Rumpf zog hautnah an mir vorbei und ich spürte förmlich den Stahl. Dann war ich mit der Frau in dem Aussichtsturm des Schiffes. Wegen der frühen Morgenstunden war außer uns noch niemand da. Es war schön dort, mit gigantischen Panoramafenstern, und wir bewunderten die Landschaft, denn wir waren immer noch nicht auf dem offenen Meer.
Mit diesem Eintrag in sein Arbeitsjournal begann Hans Köberlin den Dienstag, den 12. November 2013.* Der verlief in seinem Verlauf weiter wie gehabt, wobei Hans Köberlin seinen am Vortag aufgestellten hiesigen Weitschwimmrekord gleich wieder einstellen konnte – seine absoluten Weitschwimmrekorde im Meer hatte Hans Köberlin vor Jahren in der Cala de Déià auf der Insel des zweiten Gesichts und in Polignano a mare aufgestellt –, noch ein paar Tage stetiger Steigerung, und er würde es bis an die Mauer der Mole, also bis auf die andere Seite der Hafenein- und -ausfahrt, schaffen.** Es gab auch an diesem Tag keine Begegnungen mit Turbanträgern, dafür eine mit einem alten Angelsachsen (Hans Köberlin hatte ihn bereits desöfteren gesehen), der mit einem realen Golfschläger und imaginären Golfbällen Abschläge gen Meer, das sich aber darum nicht kümmerte, übte. Das Ende von Antonionis Blow Up (1966) fiel Hans Köberlin dabei ein, David Hammings wäre, wenn er noch lebte, jetzt in seinem Alter …


* Zum Geburtstag des Regisseurs Jacques Tourneur im Jahre 1904 gab es ein Filmstill mit Jane Greer und Robert Mitchum aus dem film noir Out of the Past (1947). Außerdem hatte Hans Köberlin das Kalenderblatt des Jahres 1996 aufgehoben, das die Regisseurin Véra Belmont bei den Dreharbeiten von Milena (1991) zeigte. Er hatte dieses Blatt wohl nur wegen des enigmatischen Gesichts der Regisseurin aufgehoben, denn er kannte weder sie noch den erwähnten Film noch einen anderen Film von ihr, und er wußte auch nicht, daß die reale Frau hinter der Filmfigur Milena eine Bekannte von Kafka gewesen war. Was Hans Köberlin außerdem nicht auffiel, weil er es nicht wissen konnte, das war, daß das Bild von Véra Belmont hier nichts zu suchen hatte, denn sie war am 17. und nicht am 12. November 1931 geboren worden.
** Er sollte in dieser Schwimmsaison nicht mehr bis an die andere Seite der Hafenein- und -ausfahrt kommen, und in der nächsten Saison, als er wieder dermaßen trainiert war, daß er es hätte schaffen können, war in der Hafenein- und -ausfahrt so viel Schiffsverkehr, daß es deswegen unmöglich war. Zu Hans Köberlin tatsächlichem und bis heute unüberbotenem Weitschwimmrekord siehe unten.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VI [Phase II – oder: post Telos], 3. bis 14. November 2013).